Selbstverständlich gleichberechtigt: Eine autobiographische Zeitgeschichte (German Edition)
der Arbeit erschien. Frau Huber-Simons sagte gern: »Da kommt ja unser Rauschgoldengel.« Dann entschuldigte ich mich: »Ich wollte unbedingt pünktlich sein. Aber pünktlich mit aufgestecktem Haar hätte ich nicht geschafft.« Für alle Juristen der Kanzlei war es selbstverständlich, dass sie sechs Tage pro Woche arbeiteten. Das Büropersonal hatte samstags frei, wir arbeiteten dann von morgens bis mindestens zum Nachmittag. Natürlich auch die Chefinnen, auch Frau Huber-Simons mit den fünf Kindern. Sie waren samstags als Erste dort und öffneten den Mitarbeitern die Tür.
Obwohl Frau Plum sehr gut verdiente, fuhr sie nur einen kleinen VW. Sie führte ein bescheidenes, diszipliniertes Leben, ganz preußisch. Dazu gehörte auch, dass sie das Büropersonal ausnehmend freundlich und großzügig behandelte. Im Gegenzug verehrten die Bürodamen ihre Chefin, arbeiteten dementsprechend fleißig und zuverlässig. Manche Referendare und junge Volljuristen, die neu waren in der Kanzlei, hielten sich nicht an die ungeschriebenen Regeln und behandelten das Personal abfällig. Solche Kollegen hatten nur eine kurze Verweildauer. Bis heute bin ich davon überzeugt, dass es nicht anders geht: Mit Menschen, die für einen selbst arbeiten, muss man anständig und fürsorglich umgehen.
An meinem ersten Tag als Referendarin bei Frau Dr. Plum war ich mit zitternden Knien in der Kanzlei erschienen, ich hatte Angst zu versagen, und so kam es dann auch: Ich machte einen Fehler nach dem anderen. Frau Plum ließ keine Milde walten, sondern übte deutliche Kritik und donnerte mich auch mal an, wenn ich eine Aufgabe völlig unzureichend bearbeitet hatte. »So etwas können Sie nicht abliefern! Warum arbeiten Sie unsorgfältig? Das kann nicht Ihr Ernst sein. Sie müssen weitersuchen. Sie können doch nicht bei der erstbesten Lösung haltmachen!« Womit sie recht hatte. Es war eine sehr strenge, aber faire und effektive Schule. Manches Mal fühlte ich mich klein und dumm, aber im Großen und Ganzen war ich dankbar für die fundierte, harte Ausbildung. Da ich einen Tadel ungern zweimal höre, lernte ich sehr viel – weit mehr und intensiver als an der Universität.
In der Kanzlei merkte ich endlich: Mit Sorgfalt, Konzentration, Hingabe und Fleiß sind die meisten juristischen Fälle zu lösen. Wer in der Praxis tiefer vordringt, für den ist das Ganze keine Geheimwissenschaft mehr. Was Frau Dr. Plum mir vermittelte, habe ich mir zu Herzen genommen und mein ganzes Leben lang beibehalten. Ich habe Hunderte von Referendaren ausgebildet und ihnen immer wieder gesagt: »Hören Sie auf mit der Dünnbrettbohrerei. Suchen Sie die richtige Lösung, nicht die einfachste.« Der Zweck eines solchen Arbeitsstils lässt sich mit einem Wort beschreiben: Qualität.
Als Kinder und junge Mädchen hatten Ursel und ich regelmäßig kleine Konkurrenzkämpfe ausgefochten, wie es wohl unter vielen Schwestern geschieht. Wer ist die Klügere? Die Bessere in welchem Schulfach? Wer die Hübschere? Die Beliebtere? Bis unsere Mutter eingriff und entschied: »Jetzt gebt doch endlich Ruhe. Ursel ist die Hübsche, Lore die Kluge – und keine weitere Diskussion!« Das hatte mich schwer beleidigt, denn natürlich wollte ich klug und hübsch sein – und Ursel genauso. Als Referendarin bei Frau Dr. Plum begriff ich endgültig, dass physische Attraktivität einer Frau zwar dienlich sein kann, doch langfristig bringt sie einen im beruflichen Umfeld nicht viel weiter. Es ist allgemein bekannt und wissenschaftlich belegt, dass gutaussehende Menschen in fast allen Lebenslagen Vorteile haben, nicht nur im Beruf, sondern zum Beispiel auch als Angeklagte vor Gericht.
Ab einem gewissen Alter und einer gewissen Hierarchiestufe aber werden Leistungen, Qualifikation und Erfahrung dermaßen entscheidend, dass die Physis eine vergleichsweise unbedeutende Rolle spielt. Die wirklich interessanten Positionen im Leben erreichen Frauen wie Männer nicht, wenn sie frisch und »knackig« sind, sondern wenn sie Reife erlangt haben, vielleicht schon etwas überreif aussehen. Auch die Niedlichkeit und den Liebreiz, zu denen immer noch viele Mädchen erzogen werden, sollten Frauen im Beruf tunlichst ablegen. Eine starke Persönlichkeit erreicht mehr als ein süßes Persönchen. Andererseits kann die weibliche Angewohnheit, freundlich aufzutreten, ein Vorteil gegenüber Männern sein. In der Regel bemühen sich Frauen, stets zuvorkommend zu wirken. Selbst eine noch so freche Forderung kommt bei
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