Selbstverständlich gleichberechtigt: Eine autobiographische Zeitgeschichte (German Edition)
erhalten. Ein neues Gesetz musste her – was schon allein aus technischen Gründen schwierig war. Im deutschen Zivilrecht ist bis auf wenige Ausnahmen keine Popularklage vorgesehen, das heißt, ein Bürger kann nicht für eine ganze Gruppe – hier: die Gruppe der Frauen – klagen.
Um welche Art von Darstellungen ging es konkret? Uns lag nicht daran, die Abbildung nackter Mädchen im Allgemeinen zu verbieten – notwendig war, die Abbildung von Gewaltpornographie zu verhindern. Was genau darunter zu verstehen sei, musste das Gesetz definieren, trotzdem durfte der Text nicht ausufern. Je umfangreicher ein Gesetzentwurf ist, desto schwieriger lässt er sich politisch durchsetzen und desto komplizierter ist die Anwendung des neuen Gesetzes in der Praxis. Außerdem musste der Text berücksichtigen, dass es vermutlich nicht wenige männliche Abgeordnete gibt, die gern Bilder konsumieren, die zwar keine explizit gewalttätigen Szenen zeigen, aber dennoch von vielen Frauen als erniedrigend empfunden werden. Die Formulierung des Gesetzentwurfs war eine Gratwanderung.
Von Anfang an ahnte ich, dass wir ein neues Anti-Pornographie-Gesetz nicht würden durchsetzen können. Aber unsere Zweifel durften uns nicht abhalten. Wer nichts versucht, kann nichts erreichen. Alice Schwarzer und ich waren uns einig.
Gemeinsam mit zwei befreundeten Anwältinnen traf ich Schwarzer in deren Kölner Wohnung, stundenlang diskutierten wir unseren Gesetzentwurf, in den folgenden Monaten forschten wir weiter zu der Thematik, tauschten uns aus, formulierten und feilten an dem Text. Am Ende hatten wir einen kurzen, praxistauglichen Entwurf. Die Verabschiedung dieses Gesetzes hätte unter anderem dafür gesorgt, dass eine Frau, die in der Öffentlichkeit oder am Arbeitsplatz gegen ihren Willen der Wahrnehmung von Pornographie ausgesetzt ist, auf Unterlassung und Schadenersatz hätte klagen können. Als Pornographie hätte zum Beispiel ein zusammenhangloses Bild gegolten, auf dem eine als Sexualobjekt dargestellte Frau Verletzungen oder Schmerz erfährt.
Eine Sonderausgabe der Zeitschrift Emma erschien: »PorNO – die Kampagne, das Gesetz, die Debatte«. Alice Schwarzer gelang es, eine Anhörung zu diesem Gesetzentwurf in der SPD-Bundestagsfraktion zu erwirken. Im September 1988 fand die Veranstaltung statt, sie dauerte zwei Tage, viele Fachleute kamen zu Wort, das Thema war komplex.
Danach passierte nichts mehr. Fragte man nach, warum nicht, waren die Argumente sehr schwammig: Das Regelungsbedürfnis bestehe nicht, die Pressefreiheit sei gefährdet, es gehöre zur freiheitlichen Demokratie, dass man abbilden könne, was man abbilden wolle, und so fort. Kein Politiker, keine Politikerin nahm sich bis heute ernsthaft des Themas an – was nicht bedeutet, dass es für immer so bleiben muss. Ich halte es für gut möglich, dass eine spätere Generation empfindlicher sein wird.
Pornographie hat es zu allen Zeiten gegeben, es wird sie immer geben, keine Frage. Uns ging es darum, zu verhindern, dass sie hoffähig wird, dass man Gewaltpornographie zwangsläufig begegnet, ihr nicht ausweichen kann. Uns gefiel das nicht, wir leben nicht gern in einer Gesellschaft, in der Gewalt zum Alltag gehört. Deshalb taten wir, was wir konnten. Wer sich gesellschaftspolitisch engagiert, darf nicht erwarten, dass jede Initiative Erfolg hat. Wenn man mit einer Initiative eine gewisse Bewusstwerdung in der Gesellschaft erzielt, kann man schon nicht mehr von einem Scheitern sprechen. Frau Schwarzer verfolgt das Thema bis heute. Sie weiß, wie wichtig ein langer Atem ist.
Schwarzer und ich stimmen bei weitem nicht in allen Ansichten überein. Aber es gibt viele Themen, bei denen wir einer Meinung sind – wie etwa die Abschaffung des Ehegattensplittings. Es ist nicht länger akzeptabel, dass der Staat Paare steuerlich fördert, nur weil sie einen Trauschein besitzen. Durch die Möglichkeit der gemeinsamen Veranlagung verliert die Bundesrepublik jedes Jahr etwa 20 Milliarden Euro an Steuergeldern. Der Staat braucht dringend Geld für die Kinder– und Jugendförderung, für viele andere soziale Aufgaben. Dass eine einzige Gruppe in unserer Gesellschaft ohne triftigen Grund derart massiv subventioniert wird, widerspricht meinem Gerechtigkeitsgefühl. Nicht die Ehe an sich darf zu Steuerentlastungen führen, wohl aber Betreuungsarbeit in der Familie, Erziehung von Kindern, Pflege von Kranken und Alten. Dabei darf nicht von Belang sein, ob der oder die betreuende Person
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