Selbstverständlich gleichberechtigt: Eine autobiographische Zeitgeschichte (German Edition)
33, Absatz 5 GG nicht erfüllen, da sie dann nicht hauptberuflich dem Staat diene. Diese Schlussfolgerung akzeptierte ich nicht. Der Grundgesetz-Artikel soll allein bewirken, dass Beamte keine Nebentätigkeiten aufnehmen, die der korrekten Ausführung ihrer Haupttätigkeit im Wege stehen.
Ich war mir nicht sicher, ob wir unser Anliegen würden durchsetzen können, aber ich wollte alle Möglichkeiten ausschöpfen. In der Beamtenrechtskommission des Juristinnenbundes erforschten wir die juristischen Gegebenheiten, ihre Grundlagen und historischen Hintergründe. Wir suchten nach erlaubten Situationen, die mit der Beurlaubung von Müttern im Staatsdienst, die ihre Kinder erziehen wollten, vergleichbar waren. Ich schrieb lange Begründungen für unseren Gesetzentwurf. So argumentierten wir beispielsweise mit dem Wehrdienst: Männliche Staatsdiener wurden beurlaubt, um ihrer Wehrpflicht nachzukommen. Danach konnten sie ohne weiteres in ihren Beruf zurückkehren, es gab keine Probleme. Warum sollte es dann Probleme geben, wenn Frauen nach einer Phase der Kindeserziehung zurückkehrten? Die Soldaten wurden mit Lob bedacht, in der Rentenversicherung bekamen sie die Monate des Wehrdienstes als rentenerhöhende Zeit angerechnet. Und die im Staatsdienst tätigen Mütter? Sie mussten ihren Beruf aufgeben, wurden ihrer Existenzgrundlage beraubt. War das richtig? Sollte es so weitergehen?
Dr. Erna Scheffler rief mich an, sie war damals die einzige Richterin des Bundesverfassungsgerichts. Sie sagte: »Frau Kollegin, Sie machen einen Fehler. Wenn Sie Sonderrechte für Frauen verlangen, sägen Sie den Ast ab, auf dem wir alle sitzen.« Ich fuhr nach Karlsruhe und besprach mit ihr unser Anliegen. Es gibt Fotos davon, wie wir zusammensitzen und diskutieren: die berühmte Verfassungsrichterin Dr. Scheffler mit der jungen Frau Peschel vom Hamburger Landgericht. »Ich begreife weder Ihre Argumente, noch begreife ich Sie, Frau Scheffler«, sagte ich. »Es liegt doch auf der Hand, dass diese Gesellschaft sich bewegen muss. Was für einen Frauentyp wollen wir im öffentlichen Dienst haben? Wollen wir dort wirklich ausschließlich kinderlose Frauen?«
»Nein«, meinte Frau Scheffler. »Aber ein Mann hört auch nicht auf zu arbeiten, weil er Kinder hat.«
»Was für ein Wunder! Die meisten Männer verlangen eben, dass die Frauen sich um die Kinder kümmern.«
»Kann sein, aber deshalb darf die Frau keine gesetzlichen Sonderrechte bekommen. Das alles muss die Familie regeln, nicht der Staat. Wenn Frauen in den öffentlichen Dienst gehen, wissen sie, dass sie dort hundert Prozent arbeiten oder ganz fortgehen müssen. Wer das nicht will, muss sich einen Arbeitgeber suchen, der Urlaub zwecks Kindeserziehung gibt.«
Ich hatte die Regierung gegen mich, ich hatte das Bundesverfassungsgericht gegen mich. Die Chancen für mein Reformziel standen schlecht, dennoch war ich felsenfest überzeugt davon, dass eine Reform des Beamtenrechts kommen musste. Aus dem Juristinnenbund kannte ich die Rechtsanwältin und Bundestagsabgeordnete Dr. Emmy Diemer-Nicolaus von der FDP. »Sehen Sie einen Weg, wie wir hier weiterkommen?«, fragte ich sie. »Den sehe ich allerdings. Wir machen eine Initiative aus der Mitte des Hauses.« »Aus der Mitte des Hauses« bedeutet: im Namen von Abgeordneten aller Fraktionen. Solch ein Antrag wird im Bundestag direkt beraten, ohne langen Vorlauf. »Ich frage einmal nach, ob Frauen anderer Fraktionen mitmachen«, bot Frau Diemer-Nicolaus an. Gesagt, getan – mit dem Ergebnis: Frauen aller Fraktionen unterstützten die Initiative: CDU, CSU, SPD und FDP. Die Sache kam als Gruppenantrag ins Parlament, und nach etwa einjähriger Prüfung und Beratung wurde das Gesetz beschlossen.
»Sie haben einen Pyrrhussieg errungen«, sagte der Präsidialrichter des Landgerichts in Hamburg zu mir. Glauben Sie im Ernst, dass wir noch eine einzige Frau einstellen?« Mit dieser Frage wollte er mir Angst einflößen. In die Realität umsetzen konnte er seine Drohung nicht, denn das wäre gewiss ein verfassungswidriges Handeln gewesen. Und so antwortete ich: »Sie wollen alle weiblichen Bewerber ignorieren? Das versuchen Sie mal. Dann sehen wir uns in Karlsruhe wieder.«
»Ihre eigene Karriere können Sie jetzt vergessen. Sie haben sich unbeliebt gemacht«, sagten viele Kollegen. Darauf konnte ich nur antworten: »Es wird nicht das letzte Mal gewesen sein, dass ich mich ›unbeliebt mache‹«. Wer Gerechtigkeit durchsetzen will, muss das Risiko des
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