Selbstverständlich gleichberechtigt: Eine autobiographische Zeitgeschichte (German Edition)
Diese Frage höre ich bisweilen am Telefon in meiner Anwaltskanzlei. »Ja, selbstverständlich«, antworte ich dann. »Warum fragen Sie?« – »Ich habe im Internet über Sie recherchiert und gesehen, dass Sie Frauenrechtlerin sind.«
Frauenrechtlerinnen mögen angeblich keine Männer und vertreten als Anwältinnen keine Männer: Dies sind Vorurteile, die sich offensichtlich nur schwer beseitigen lassen.
In den siebziger Jahren bildeten sich Anwältinnen-Kollektive als Gegengewicht zu der übergroßen Zahl von Kanzleien, die ausschließlich von Männern geleitet wurden. Juristinnen schlossen sich zusammen, um sich mit vereinter Kraft zu etablieren und Erfolge zu erzielen. Das war nachvollziehbar. Manche jener Frauenkanzleien schrieben sich auf die Fahne, ausschließlich Frauen zu vertreten, oft bearbeiteten sie auch nur ganz bestimmte Themen, zum Beispiel Gewalt gegen Frauen. Derartige Kanzleien gibt es noch heute. Im Strafrecht vertreten sie Frauen als Opfer, sind Opferanwältinnen oder Nebenklägerinnen. Auch im Zivilrecht gibt es feministische Anwältinnen, darunter Familienrechtsanwältinnen, die sich auf die Vertretung von Frauen beschränken. Gegen Spezialisierungen ist grundsätzlich nichts einzuwenden. Meiner Vorstellung von Gleichberechtigung entspricht eine solche Spezialisierung jedoch nicht. Ich bin Anwältin, um Menschen zu helfen, denen Unrecht geschieht – ganz gleich, ob sie Frauen oder Männer oder Kinder sind.
»Eigentlich würde ich Sie bitten wollen, mich zu vertreten«, sagte ein Mann zu mir, der sich sehr für seine kleine Tochter einsetzte und unbedingt erreichen wollte, dass sie bei ihm in Berlin blieb und nicht mit der Mutter ins Ausland umzog. Er war bereits Mandant in unserer Kanzlei, ein Anwaltskollege betreute ihn in geschäftlichen Fragen. Bei seinen Besuchen in unseren Räumen hatte der Mandant erfahren, dass hier auch Familienanwältinnen arbeiteten. Deshalb kam er auf mich zu.
»Nun habe ich aber gelesen, dass Sie eine Frauenrechtlerin sind. Also brauche ich Sie wohl nicht zu fragen, ob Sie mich im Streit gegen die Mutter meines Kindes vertreten können?«
»Es ist Ihre Entscheidung, ob Sie mich fragen. Wenn Sie kein Vertrauen in mich haben, sollten Sie es besser nicht tun. Aber wenn Sie gelesen haben, dass ich Frauenrechtlerin bin, müssten Sie eigentlich auch auf die Information gestoßen sein, dass ich mich mein ganzes Leben lang für Kinder und deren Rechte eingesetzt habe.«
»Ja, aber unter ›Kinderrechtlerin‹ kann ich mir wenig vorstellen«, antwortete der Herr. Ich erklärte es ihm. Am Ende des Gesprächs meinte er: »Sie haben erfolgreich geworben und mich überzeugt.«
»Schön, aber es war gar nicht meine Absicht, zu werben und zu überzeugen. Ich wollte Ihnen nur zeigen, dass Frauenrechtlerinnen nicht so schwarz-weiß denken, wie Sie meinten – und dass mir die Rechte von Kindern und Vätern ebenso wichtig sind. Versprechen kann ich Ihnen nichts. Vielleicht treffen wir auf eine Richterin, die für die Mutter entscheidet. Vielleicht treffen wir auf einen männlichen Richter, der genauso denkt. Wir wissen es nicht. Aber Sie können sichergehen: Ich würde mich für Sie einsetzen und für Ihr Kind – ungeachtet des Geschlechts.«
Der Mandant bat mich, das Mandat zu übernehmen. Wir waren schließlich erfolgreich, seine kleine Tochter durfte bei ihm bleiben und in Berlin leben.
Schon als Familienrichterin am Hanseatischen Oberlandesgericht setzte ich mich in den siebziger und achtziger Jahren in vielen Fällen dafür ein, dass bei Trennung der Eltern die Väter das Sorgerecht bekamen, wogegen meine männlichen Kollegen erhebliche Bedenken äußerten. »Das kann doch nicht Ihr Ernst sein!«, hieß es dann. »Was soll denn der Mann mit den Kindern anfangen?« Mein Vorsitzender Richter sagte einmal: »Frau Peschel-Gutzeit, wenn ich mir vorstelle, ich hätte unsere Kinder erziehen sollen – das hätte ich nicht gekonnt.«
»Mag sein«, entgegnete ich. »Aber der junge Mann, um den es hier geht, hat das Sorgerecht beantragt. Ihm liegt viel daran, das Kind bei sich zu haben und zu erziehen, das hat er überzeugend dargelegt. Das Kind selbst möchte bei ihm leben, nicht bei der Mutter. Sie können nicht gegen Vater und Kind entscheiden, nur weil Sie es sich selbst nicht zutrauen, Kinder zu erziehen!« Also bekam der Vater das Sorgerecht. Damals wurde die elterliche Sorge noch einem Elternteil allein zugesprochen, inzwischen hat sich die Rechtslage geändert.
Ich
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