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Selbstverständlich gleichberechtigt: Eine autobiographische Zeitgeschichte (German Edition)

Selbstverständlich gleichberechtigt: Eine autobiographische Zeitgeschichte (German Edition)

Titel: Selbstverständlich gleichberechtigt: Eine autobiographische Zeitgeschichte (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lore Maria Peschel-Gutzeit
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einer Partei beitreten, und wenn, welcher? Aus zwei Gründen entschied ich mich dagegen: Zum einen wollte ich nicht den Eindruck erwecken, dank meines Parteibuchs in der Hamburger Justiz aufzusteigen. Zum anderen sollte niemand meine richterliche Neutralität in Frage stellen können. Kein Verlierer eines Streits, den ich als Richterin beurteilte, sollte denken können: Sie hat gegen mich entschieden, weil ich in der falschen Partei bin.
    Ich war gut bekannt mit der SPD-Politikerin Eva Leithäuser, die als erste Frau in Hamburg das Amt der Justizsenatorin innehatte. Bei mehreren Gelegenheiten sprach sie mich auf eine Mitgliedschaft in der SPD an, ich nannte ihr meine Gründe dagegen, sie akzeptierte sie. Bis zum Jahr 1988, in dem Frau Leithäuser meinte: »In der Justiz haben Sie alles erreicht, und wenn Sie überhaupt für sich erwägen, einer Partei beizutreten, dann sollten Sie jetzt den Schritt tun und zur SPD kommen. Denn das ist Ihre Partei!«
    Wo sie recht hatte, hatte sie recht. Ich war 55 Jahre alt. Als Senatspräsidentin am Hanseatischen Oberlandesgericht befand ich mich seit einigen Jahren auf der obersten Stufe der Karriereleiter. Es blieb das Gegenargument, dass jemand denken konnte, er verliere aus politischen Gründen bei mir. Aber das musste ich abwägen gegen die Nachteile, die sich aus der Parteilosigkeit ergaben. Wie so oft im Leben folgte ich einer Aufforderung. Unmittelbar auf Eva Leithäusers Werben hin wurde ich endlich SPD-Mitglied. Aber ich blieb auch dann noch jahrelang eine Karteileiche.

    Ein sonniger Frühjahrsmorgen im Jahr 1991. Ich lebte allein in der einstigen Familienwohnung in unserem Haus nahe der Elbe. Die Kinder waren erwachsen, meine Mutter war kurz zuvor gestorben.
    Um halb acht klingelte das Telefon. Ein Freund meldete sich aufgeregt: »Herzliche Glückwünsche, du wirst Senatorin!«
    »Mach keine Scherze!«
    »Nein, nein, im Ernst! Weißt du es denn nicht? Es steht in der Zeitung.«
    »Ich rufe dich gleich zurück.«
    Unfrisiert und im Morgenmantel rannte ich die Treppe hinunter und holte die Zeitung. Tatsächlich: Hamburger Abendblatt, Seite eins, oben: »Die neue Justizsenatorin: Lore Maria Peschel-Gutzeit«. Kein Mensch hatte mit mir darüber gesprochen.
    Ich rief den Freund zurück, bedankte mich für seine Benachrichtigung. Danach hätte ich mich gern in Ruhe hingesetzt, einen Tee getrunken, nachgedacht ; vielleicht mit meinen Kindern telefoniert. Aber das ging jetzt nicht. Ich lief ins Bad, machte mich zurecht, für den Fall der Fälle – ich hatte keine Ahnung, was als Nächstes passieren würde ; auch nicht, was ich zu tun hatte. Vielleicht stünde jeden Augenblick Besuch in der Tür? Vielleicht die Presse?
    Noch einmal ging ich nach unten, warf einen Blick in den Briefkasten. Siehe da: ein roter Umschlag.
    Sehr geehrte Frau Dr. Peschel-Gutzeit,
    bitte kommen Sie heute um 13 Uhr ins Rathaus.
    Mit freundlichen Grüßen
    Dr. Henning Voscherau, Erster Bürgermeister
    PS : Ein anderer Termin steht nicht zur Verfügung.
    Zuvor hatte in Hamburg eine SPD/FDP-Koalition regiert. Bei der kürzlich vorangegangenen Wahl hatte die SPD die absolute Mehrheit erzielt. Vom ersten Moment an war mir bewusst, dass die SPD mich als Quotenfrau ausgewählt hatte – als Senatorin, zu deren Funktionen es gehören sollte, die von der Partei beschlossene Frauenquote zu erfüllen. Mir blieben viereinhalb Stunden, um zu entscheiden, ob ich mein geliebtes Richteramt aufgeben und Politikerin werden wollte ; ein Gedanke, der mir noch nie im Leben gekommen war. Ich war davon ausgegangen, Vorsitzende Richterin zu bleiben bis zu meiner Pensionierung.
    Als ich um 13 Uhr Dr. Voscherau traf, sprach er ausführlich darüber, wie schwierig es sei, einen Senatorenposten auszufüllen. Vom angesehenen Amt einer Senatspräsidentin am Hanseatischen Oberlandesgericht auf die stets von vielen Seiten angegriffene Position der Justizsenatorin zu wechseln – das sei ein Schritt, den man sich gründlich überlegen solle. Sein Vortrag verstörte mich. Welchen Sinn hatte es, mich erst ungefragt als Senatorin zu benennen, dann die Information an die Presse zu geben und mir schließlich zu erklären, warum das Amt möglicherweise nicht das Richtige für mich sei? »Entschuldigen Sie bitte, aber natürlich kenne ich die Bedenken«, merkte ich an. »Ich bin lange genug in der Justiz und habe viele Senatoren kommen und gehen gesehen. Ich denke, ich kann die Situation daher ganz gut einschätzen. Die Frage, ob ich

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