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Acht.
»Hier ist jemand für dich, America«, flötete meine Mutter. Ich hatte die Klingel auch gehört, beeilte mich aber nicht, zur Tür zu kommen. Autogrammjäger konnte ich nicht mehr ertragen.
Ich bog um die Ecke im Flur. Und da stand Aspen, einen Strauß Wiesenblumen in den Händen.
»Hallo, America.« Seine Stimme klang tonlos und förmlich.
»Hallo, Aspen«, krächzte ich.
»Dieser Strauß ist von Kamber und Celia. Sie wünschen dir Glück.« Er trat zu mir und reichte mir den Strauß. Blumen von seinen Schwestern, nicht von ihm.
»Wie reizend!«, rief Mom aus. Ich hatte fast vergessen, dass sie auch da war.
»Wie schön, dich zu sehen, Aspen.« Ich versuchte mich ebenso neutral anzuhören wie er. »Ich habe gerade ein furchtbares Durcheinander beim Packen veranstaltet. Sag, könntest du mir vielleicht beim Aufräumen helfen?«
In Anwesenheit meiner Mutter konnte er mir das nicht abschlagen. Sechser lehnen Arbeit grundsätzlich nicht ab. In dieser Hinsicht waren wir gleich.
Er atmete aus, nickte und folgte mir in einigem Abstand. Ich musste daran denken, wie oft ich mir das schon erträumt hatte: dass Aspen mit mir auf mein Zimmer gehen würde. Doch nun, da sich mein Wunsch erfüllte, konnten die Umstände kaum schlimmer sein.
Ich öffnete die Tür und blieb stehen. Aspen schaute ins Zimmer und lachte laut.
»Hast du einen Spürhund für dich packen lassen?«
»Sei still! Ich hab nicht gleich gefunden, was ich suchte.« Ich musste wider Willen lächeln.
Er machte sich sofort an die Arbeit, stellte Sachen wieder auf und legte Kleider zusammen. Ich ging ihm zur Hand.
»Nimmst du diese Sachen nicht mit?«, flüsterte er.
»Nein. Ab morgen werde ich vom Königshaus eingekleidet.«
»Oh. Wow.«
»Waren deine Schwestern sehr enttäuscht?«
»Nein, gar nicht.« Aspen schüttelte erstaunt den Kopf. »Als sie dein Gesicht gesehen haben, sind alle fast durchgedreht vor Freude. Alle fanden dich immer schon so toll. Vor allem meine Mutter.«
»Ich mag sie auch sehr. Sie war immer so lieb zu mir.«
Wir verfielen in Schweigen, während in meinem Zimmer allmählich wieder Normalität einkehrte.
»Das Foto von dir?…«, sagte er, »… war wunderschön.«
Es schmerzte mich, dass er mir nun so ein Kompliment machte. Nach allem, was geschehen war.
»Das war für dich«, flüsterte ich.
»Was?«
»Es war … ich dachte, du würdest mir bald einen Heiratsantrag machen.« Meine Kehle fühlte sich wie zugeschnürt an.
Aspen schwieg einen Moment und dachte nach. Schließlich sagte er: »Das hatte ich erwogen, aber es spielt jetzt keine Rolle mehr.«
»Doch, sehr wohl spielt das eine Rolle. Wieso hast du mir das nicht gesagt?«
Er rieb sich den Nacken. Dann schien er eine Entscheidung zu treffen. »Ich habe gewartet«, antwortete er.
»Worauf?«
»Auf die Einberufung.«
Das war in der Tat ein wichtiger Punkt. Es ließ sich schwer sagen, ob man sich die Einberufung wünschen sollte oder nicht. Jeder männliche Bürger von Illeá über neunzehn Jahre kann sich zum Militär melden. Zweimal im Jahr werden per Los Soldaten rekrutiert, jeweils sechs Monate nach ihrem Geburtstag – für insgesamt drei Jahre.
Aspen und ich hatten natürlich darüber gesprochen, aber dem Thema keine große Beachtung geschenkt. Beide hatten wir wohl gehofft, dass die Einberufung, wenn wir sie geflissentlich ignorierten, das mit uns genauso machen würde.
Der große Vorteil, Militärdienst abzuleisten, besteht darin, dass man als Soldat automatisch zur Zwei wird. Man wird vom Staat ausgebildet und bis an sein Lebensende bezahlt. Der Nachteil ist, dass man nie im Voraus weiß, wo man landet. Sicher ist nur, dass man aus seiner Heimatgegend weggeschickt wird, weil Soldaten gegenüber den eigenen Leuten zur Nachsicht neigen. Eventuell wird man zur Palastwache oder zur Polizei in einer anderen Provinz versetzt. Man kann sich aber auch zur Armee melden und wird in den Krieg geschickt. Von diesen jungen Männern waren in der Vergangenheit allerdings nicht viele nach Hause zurückgekehrt.
Wenn ein Mann vor der Einberufung noch nicht verheiratet ist, wartet er meist ab. Im besten Fall würde er drei Jahre von seiner Frau getrennt. Im schlimmsten Fall wäre sie danach eine sehr junge Witwe.
»Ich wollte … dir das einfach nicht antun«, flüsterte Aspen.
»Das verstehe ich.«
Er richtete sich auf und wechselte das Thema. »Was nimmst du alles mit?«
»Eine Garnitur Kleider für den Tag, an dem sie mich vor die Tür setzen. Ein
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