Selection
Fähigkeiten und sagte, für eine Fünf sei ich bemerkenswert intelligent und attraktiv. Er wirkte eigentlich recht sympathisch, aber manchmal benahmen sich sogar die netteren Angehörigen der höheren Kasten herablassend.
Als ich auf die Menschenmenge hinunterschaute, blieb mein Blick ein weiteres Mal an Aspens Gesicht hängen. Er sah gequält aus, ganz anders als gerade eben mit Brenna. Spielte er ein Spielchen mit mir? Ich zwang mich, wegzuschauen.
Der Bürgermeister kam zum Schluss seiner Rede, ich lächelte, und alle jubelten, als habe der Mann soeben die weltbewegendste Rede aller Zeiten gehalten.
Und dann war es Zeit, Abschied zu nehmen. Das würde auf der Bühne stattfinden. Mitsy, meine Begleiterin, wies mich an, mich zu beeilen. Danach würde sie mich zum Wagen bringen.
Kota umarmte mich und sagte, er sei stolz auf mich. Dann trug er mir recht unverblümt auf, Prinz Maxon von seiner Malerei zu berichten. Ich löste mich möglichst rasch aus seiner Umarmung.
Kenna weinte.
»Ich seh dich ja so schon kaum, und jetzt bist du ganz weg«, schluchzte sie.
»Mach dir keine Sorgen, ich komme bald wieder.«
»Ach, vergiss es! Du bist das schönste Mädchen von Illeá. Der Prinz wird dich lieben!«
Wieso glaubten alle, es käme nur auf Schönheit an? Vielleicht war es ja wirklich so. Vielleicht legte Prinz Maxon keinen Wert darauf, sich mit seiner Frau zu unterhalten, und sie sollte einfach nur gut aussehen. Mich schauderte bei der Vorstellung. Aber es gab ja ohnehin viel hübschere Mädchen als mich unter den Bewerberinnen.
Kennas Bauch war schon so riesig, dass es uns schwerfiel, uns zu umarmen, aber wir kriegten es irgendwie hin. Auch James, den ich nicht sonderlich gut kannte, umarmte mich. Dann war Gerad an der Reihe.
»Sei lieb, ja?«, sagte ich. »Und versuch es mal mit dem Klavierspielen. Du bist bestimmt gut. Wenn ich wieder da bin, kannst du mir vorspielen.«
Gerad nickte. Er sah traurig aus und umschlang mich.
»Ich hab dich lieb, America.«
»Ich dich auch. Sei nicht traurig. Ich komme bald wieder.«
Er nickte, verschränkte aber die Arme vor der Brust und zog einen Flunsch. Es erstaunte mich, dass er so reagierte. May dagegen war völlig aufgekratzt.
»Oh, America, ich weiß, dass du Prinzessin wirst! Ich weiß es einfach!«
»Ach, Unfug. Ich wäre lieber eine Acht, wenn ich dafür bei dir bleiben könnte. Gib dir Mühe und sei fleißig, ja?«
Sie nickte und zappelte herum. Dann trat mein Vater zu mir, den Tränen nahe.
»Ach, Dad, bitte wein nicht.« Ich fiel ihm in die Arme.
»Hör zu, mein Kätzchen. Für mich bist du immer eine Prinzessin, ob du nun Siegerin beim Casting wirst oder nicht.«
»Ach, Daddy.« Jetzt weinte ich. Mit diesem einen Satz meines Vaters waren alle Ängste, die Traurigkeit, meine Sorgen und die ganze Nervosität wie weggewischt.
Falls ich verbraucht und verstoßen zurückkäme, würde mein Vater immer noch stolz auf mich sein.
So viel Liebe war kaum auszuhalten. Im Palast würde ich von Wachen umgeben sein, aber einen sichereren Ort als in den Armen meines Vaters gab es für mich nicht. Ich löste mich von ihm und wandte mich meiner Mutter zu.
»Mach alles, was man dir aufträgt«, sagte sie. »Sei nicht verdrießlich, sondern fröhlich. Benimm dich gut und lächle. Und halt uns auf dem Laufenden. Oh, ich wusste immer schon, dass du etwas ganz Besonderes bist!«
Das sollte wohl ein Kompliment sein, aber ich konnte mich nicht darüber freuen. Ich hätte lieber gehört, dass ich für sie ein ganz besonderer Mensch sei, wie ich es für meinen Vater war. Aber Mom würde mir wohl immer noch mehr abverlangen und noch höhere Ziele für mich anstreben. Vielleicht waren alle Mütter so.
»Sind Sie bereit, Lady America?«, fragte Mitsy. Ich hatte mich von der Menge abgewandt und wischte mir rasch die Tränen vom Gesicht.
»Ja, bin ich.«
Meine Tasche wartete in dem schimmernden weißen Wagen auf mich. Ich ging zum Bühnenrand.
»Mer!«
Ich drehte mich um. Diese Stimme würde ich überall erkennen.
»America!«
Ich ließ den Blick über die Menge schweifen und entdeckte Aspen, der winkte und sich unsanft zwischen den Leuten hindurchdrängte.
Wir sahen uns an.
Er blieb stehen und starrte zu mir herauf. Ich konnte seine Miene nicht deuten. Sorge um mich? Reue? Es war jedenfalls so oder so zu spät. Ich schüttelte den Kopf. Ich hatte keine Lust mehr auf Aspens Spielchen.
»Hier entlang, Lady America«, rief Mitsy von unten. An meinen neuen Namen musste ich
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