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Titel: Selection Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kiera Cass
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bei der Arbeit stören. Wir können uns sehen, wenn Sie Zeit haben.« Ich merkte, dass er immer noch meine Handgelenke festhielt.
    »Würde es Sie stören, wenn ich ein paar Minuten bei Ihnen bliebe? Wir haben oben Haushaltssitzung, und das hasse ich.« Ohne die Antwort abzuwarten, zog Maxon mich zu einem kleinen Samtsofa unter einem Fenster. Ich kicherte, als wir uns setzten.
    »Was ist so komisch?«, fragte er.
    »Sie«, antwortete ich lächelnd. »Ich finde es witzig, dass Sie von Ihrer Arbeit genervt sind. Wieso sind diese Treffen denn so unangenehm?«
    »Ach, America!«, seufzte er und sah mich an. »Da dreht man sich ständig im Kreis. Meinem Vater gelingt es meist, die Berater zu beruhigen, aber den Komitees die Richtung vorzugeben, ist sehr mühsam. Meine Mutter redet meinem Vater immer gut zu, damit er den Schulen ein höheres Budget einräumt, weil sie glaubt, dass bessere Bildung Kriminalität verhindern hilft. Aber mein Vater ist nie mutig genug, dafür anderen Bereichen Geld abzuziehen, die aber durchaus mit einem geringeren Budget auskommen könnten. Es ist zum Verrücktwerden! Und da ich am Ende doch nicht entscheiden kann, wird meine Meinung auch meist überhört.« Maxon stemmte die Ellbogen auf die Knie und stützte den Kopf in die Hände. Er sah erschöpft aus.
    Dieser Einblick in Maxons Welt machte sie mir nicht verständlicher. Wieso wurde die Meinung des zukünftigen Herrschers ignoriert?
    »Das tut mir leid für Sie. Aber in der Zukunft werden Sie mehr mitreden können.« Ich strich ihm ermutigend über den Rücken.
    »Ich weiß. Das sage ich mir auch. Aber es ist so frustrierend, weil man jetzt schon etwas ändern könnte, wenn nur mal einer auf mich hören würde«, murmelte Maxon Richtung Teppich.
    »Sie dürfen sich nicht beirren lassen. Ihre Mutter ist auf dem richtigen Weg, aber nur allein mit Bildung kann man nicht alles verbessern.«
    Maxon hob den Kopf und sah mich an. »Wie meinen Sie das?« Er klang etwas vorwurfsvoll – durchaus zu Recht, wie ich zugeben musste. Ich hatte gerade eine Idee, die er unterstützte, in Frage gestellt. Hastig versuchte ich einen Rückzieher zu machen.
    »Nun, im Vergleich mit den Elitelehrern, die Sie bekommen, ist das Bildungssystem für Sechser und Siebener eine Katastrophe. Bessere Lehrer und bessere Räumlichkeiten wären eine enorme Hilfe. Aber was ist mit den Achtern? Ist das nicht die Kaste, in der die Kriminalität am höchsten ist? Sie bekommen keinerlei Ausbildung. Wenn man ihnen auch nur ein kleines Bildungsangebot machen könnte, würde sie das bestimmt ermutigen. Und außerdem?…« Ich wusste nicht, ob jemand, der von Kind an alles bekommen hatte, das verstehen konnte. »Hatten Sie jemals Hunger, Maxon? Nicht nur kurz vor dem Essen, sondern nagenden Hunger? Wenn es gar nichts mehr zu essen gäbe hier im Palast, auch nicht für Ihre Eltern, und wenn Sie sich etwas holen könnten von Leuten, denen an einem Tag mehr Essen zur Verfügung steht als Ihnen in Ihrem ganzen Leben – was würden Sie dann tun? Wenn Ihre Eltern von Ihnen abhängig wären – was würden Sie tun für jemanden, den Sie lieben?«
    Maxon blieb einen Moment lang stumm. Als wir damals während des Rebellenangriffs über meine Zofen gesprochen hatten, waren die sozialen Differenzen zwischen uns schon einmal zur Sprache gekommen. Und ich spürte, dass Maxon dem Thema ausweichen wollte.
    »Ich behaupte ja nicht, dass es manchen Menschen nicht elend geht, America, aber Stehlen ist –«
    »Schließen Sie die Augen, Maxon.«
    »Was?«
    »Schließen Sie die Augen.«
    Er runzelte die Stirn, gehorchte aber. Ich wartete, bis sein Gesicht entspannt wirkte. Dann sagte ich: »Irgendwo in diesem Palast ist ein Mädchen, das Ihre künftige Ehefrau sein wird.«
    Seine Mundwinkel zuckten; der Anfang eines hoffnungsvollen Lächelns.
    »Sie wissen vielleicht noch nicht, wer es sein wird, aber denken Sie an all diese Mädchen. Stellen Sie sich die vor, die Sie am meisten lieben wird. Stellen Sie sich ›Ihre große Liebe‹ vor.«
    Seine Hand lag neben meiner auf dem Sofa, und für den Bruchteil einer Sekunde streiften seine Finger die meinen. Ich zuckte zurück.
    »Entschuldigung«, murmelte er und schaute mich an.
    »Augen zu!«
    Er gluckste und nahm wieder die vorherige Haltung ein.
    »Dieses Mädchen? Stellen Sie sich vor, dass sie von Ihnen abhängig ist. Sie müssen ihr das Gefühl geben, dass sie die Liebe Ihres Lebens ist und dass es das Casting nicht gegeben hat. Dass Sie Ihre

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