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beruhigte ich sie. »Sie freut sich doch sicher über Ihren Besuch.«
Adele sah mich an. »Wissen Sie, was sie glücklich macht? Sie alle, die Erwählten. Und wissen Sie, was sie in Ihnen allen sieht? Eine Tochter. Sie weiß, dass sie am Ende des Castings zwei Kinder haben wird.«
»Meinen Sie?«, sagte ich, als ich wieder hinausblickte auf die Königin. »Mir kommt sie recht distanziert vor. Ich habe noch nicht mal mit ihr gesprochen.«
Adele nickte. »Warten Sie’s ab. Derzeit fürchtet sie sich davor, eine Bindung aufzubauen zu jemandem, der dann wieder gehen muss. Aber wenn sich die Gruppe verkleinert, werden Sie es ja erleben.«
Ich blickte auf die Königin, Maxon, den König und dann wieder auf Adele.
So vieles ging mir durch den Kopf. Dass jede Familie ihr Schicksal hat, unabhängig von ihrer Kastenzugehörigkeit. Dass alle Mütter Sorgen haben. Dass ich keines der Mädchen hier wirklich hasste, so unangenehm es sich auch benehmen mochte. Dass sie alle aus diesem oder jenem Grund nach außen hin stark wirken mussten. Und dass Maxon mir ein Versprechen gegeben hatte.
»Entschuldigen Sie mich bitte. Ich muss mit jemandem sprechen.«
Adele trank einen Schluck Wein und wedelte lächelnd mit der Hand. Ich lief eilig hinaus ins grelle Sonnenlicht. Blickte mich suchend um und sah, dass Maxons Großneffe den Prinzen jetzt um einen Strauch jagte. Ich lächelte und näherte mich den beiden langsam.
Schließlich blieb Maxon stehen, hielt die Hände hoch, ergab sich lachend. Dabei fiel sein Blick auf mich, und sein Lachen erstarb. Er sah mich forschend an, versuchte meine Stimmung zu ergründen.
Ich biss mir auf die Lippe und schaute zu Boden. Mir war klar geworden, dass ich als Erwählte mit vielen Gefühlen konfrontiert wurde, auf die ich nicht gefasst gewesen war. Doch ich musste nun gezielt darauf achten, sie nicht an anderen Menschen auszulassen – vor allem nicht an Maxon.
Die Königin stand mir vor Augen, eine souveräne Gastgeberin für Staatsoberhäupter, Verwandte, eine Horde Mädchen wie uns. Sie organisierte Veranstaltungen und unterstützte Gruppen. Stand ihrem Mann, ihrem Sohn, ihrem Land zur Seite. Und bei alldem war sie im Herzen immer noch eine Vier, die ihr ganz eigenes Schicksal durchlitten hatte und dennoch imstande war, ihre vergangenen und gegenwärtigen Sorgen beiseitezuschieben, um ihre Pflichten zu erfüllen.
Ich schaute langsam auf und lächelte Maxon an. Er erwiderte das Lächeln und flüsterte dem kleinen Jungen etwas ins Ohr, der sich daraufhin umdrehte und weglief. Dann zupfte Maxon an seinem Ohrläppchen. Und ich tat es ihm gleich.
20
Die Verwandten der Königin blieben einige Tage und die Gäste aus Swendway eine ganze Woche. Sie traten auch im Bericht vom Capitol auf, in dem sie sich zu internationalen Beziehungen und Friedensbemühungen für beide Länder äußerten.
Nachdem alle Gäste abgereist waren, empfand ich etwas ganz Neues: Ruhe und Frieden. Ich lebte nun seit einem Monat im Palast und fühlte mich inzwischen sehr heimisch dort. Mein Körper hatte sich an das fremde Klima gewöhnt. Es war immer wunderbar warm im Palast, wie an einem Urlaubsort. Der September neigte sich dem Ende entgegen, und abends wurde es schon kühl, aber nicht so kalt wie bei mir zu Hause. Das riesige Gebäude war mir inzwischen vertraut: Das Klacken von hochhackigen Schuhen auf Marmorböden, das Klirren von Kristallgläsern, die schweren Schritte der Wachen – all diese Laute kamen mir nun fast so normal vor wie das Surren unseres Kühlschranks zu Hause oder das Knallen, wenn Gerad seinen Fußball an die Hauswand schoss.
Die Mahlzeiten mit der Königsfamilie und die Aufenthalte im Damensalon gehörten bereits fest zu meinem Alltag, aber in der Zeit dazwischen erlebte ich immer wieder Neues. Ich verbrachte jetzt mehr Zeit mit Musik; die Instrumente im Palast waren exzellent im Vergleich mit meinen eigenen zu Hause. Man konnte sich daran gewöhnen, denn der Klang war um ein Vielfaches besser. Und die Stunden im Damensalon gerieten nun etwas spannender, da die Königin bereits mehrfach erschienen war. Sie hatte sich zwar noch mit keiner von uns unterhalten, aber von einem bequemen Sessel aus und in Gesellschaft ihrer Zofen das Geschehen im Raum beobachtet.
Die Feindseligkeiten zwischen den Erwählten waren auch zum Erliegen gekommen. Wir gewöhnten uns aneinander.
Inzwischen waren auch die Ergebnisse aus der Meinungsumfrage der Zeitschrift veröffentlicht worden. Ich hatte erschüttert
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