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Palastwachen.
Er war mir fremd und vertraut zugleich. Äußerlich passte vieles nicht, aber die Augen … das waren Aspens Augen.
Auf den Kragen der Jacke war sein Name gestickt: Officer Leger.
Ich wusste nicht, wie viel Zeit verstrichen war.
Wie durch ein Wunder gelang es mir, den Sturm an Gefühlen in meinem Inneren nach außen hin zu verbergen. Ich hätte Aspen gerne berührt, geküsst, ihn angeschrien und verlangt, dass er meinen Zufluchtsort auf der Stelle verließ. Ich wollte mich auflösen und verschwinden, fühlte mich aber zugleich so präsent wie selten.
Mit einem Mal war alles so verworren.
Ich räusperte mich. »Ja. Officer Leger kommt aus Carolina. Sogar aus meiner Heimatstadt.« Ich lächelte Maxon an.
Aspen hatte uns bestimmt lachen gehört, hatte gesehen, dass meine Hand auf Maxons Arm ruhte, und er würde seine eigenen Rückschlüsse ziehen.
»Ach, na so was!«, sagte Maxon erfreut. »Willkommen, Officer Leger. Es ist sicher eine Freude für Sie, eine unserer Favoritinnen wiederzusehen.« Maxon streckte ihm die Hand hin, und Aspen ergriff sie.
Dabei verzog er keine Miene. »Ja, Eure Majestät. Eine große Freude.«
Was sollte das bedeuten?
»Und bestimmt votieren Sie auch für America«, fuhr Maxon fort und zwinkerte mir zu.
»Gewiss, Eure Majestät.« Aspen neigte den Kopf.
Und was sollte das wohl heißen?
»Bestens. Da America aus Ihrer Heimatprovinz stammt, gibt es ja wohl niemanden, der besser geeignet wäre, die junge Dame zu behüten. Ich werde dafür sorgen, dass Sie ihr zugeteilt werden. Sie schickt nämlich ihre Zofen nachts hinaus, und ich habe ihr schon mehrmals versucht klarzumachen?…« Maxon schüttelte den Kopf und blickte mich mahnend an.
Aspen schien sich etwas zu entspannen. »Das wundert mich nicht, Eure Majestät.«
Maxon lächelte. »Nun, Sie alle haben gewiss zu tun, wir lassen Sie nun in Frieden. Guten Tag, die Herren.« Er nickte kurz in Aspens Richtung und zog mich weiter.
Es kostete mich eine enorme Überwindung, nicht mehr zurückzuschauen.
Im dunklen Kino versuchte ich meine Gedanken zu klären. Als ich ihm damals von Aspen erzählte, hatte Maxon keinen Zweifel daran gelassen, dass er den Mann verabscheute, der mich so schlecht behandelt hatte. Wenn ich ihm nun aber gestand, dass mein künftiger Bewacher genau dieser Mann war – würde Maxon ihn dann bestrafen? Das war nicht ausgeschlossen. Immerhin hatte er sich durch meine Berichte über Armut und Hunger dazu anregen lassen, ein ganzes Hilfsprogramm zu starten.
Ich konnte es ihm also nicht sagen. Denn so wütend ich auch sein mochte auf Aspen, ich liebte ihn doch immer noch. Und konnte nicht zulassen, dass man ihm Schaden zufügte.
Sollte ich abreisen? Ich war hin- und hergerissen. Wenn ich ginge, würde ich Aspen entkommen – denn ihn hier sehen zu müssen, würde mich tagtäglich quälen, mich immer daran erinnern, dass er nicht mehr zu mir gehörte. Doch wenn ich mich davonmachte, würde ich auch Maxon verlassen müssen, der mein bester Freund und vielleicht sogar noch mehr war. Und wie hätte ich ihm meinen Aufbruch erklären sollen, ohne zu offenbaren, dass Aspen hier war?
Außerdem konnte ich das auch meiner Familie nicht antun – die Schecks fielen jetzt vielleicht kleiner aus, aber zumindest trafen sie ein. May hatte mir geschrieben, Dad habe ihr versprochen, dass Weihnachten in diesem Jahr so schön würde wie nie zuvor. Was wohl zugleich bedeutete, dass es vielleicht nie wieder so toll sein würde wie in diesem Jahr. Wir wussten nicht, wie viel Geld mein verflossener Ruhm einbringen würde, wenn ich den Palast verließ, und mussten so viel wie möglich sparen.
»Der hat Ihnen nicht gefallen, oder?«, fragte Maxon etwa zwei Stunden später.
»Wie?«
»Der Film. Sie haben gar nicht gelacht und so.«
»Ach so.« Ich versuchte angestrengt, mich an irgendein Detail aus dem Film zu erinnern, aber es gelang mir nicht. »Ich glaube, ich stehe heute ein bisschen neben mir. Tut mir leid, dass Sie Ihren Nachmittag vergeudet haben.«
»Unsinn.« Maxon machte eine wegwerfende Handbewegung. »Ich bin immer gerne mit Ihnen zusammen. Aber Sie sollten sich vielleicht vor dem Abendessen noch ein bisschen hinlegen. Sie sehen ein wenig blass aus.«
Ich nickte. Und überlegte mir ernsthaft, auf mein Zimmer zu gehen und nie wieder rauszukommen.
21
Ich entschied mich dann doch dagegen, mich in meinem Zimmer zu verschanzen, und hielt mich stattdessen vor allem im Damensalon auf. Normalerweise war ich
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