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mit dem Bogen auf Kriss.
Dann ließ ich den Bogen einen Moment über den Saiten schweben, schloss die Augen und ließ die Musik aus mir herausströmen.
Und für die Dauer meines Spiels gab es keine giftige Celeste mehr, keinen Aspen, der hier im Palast lauerte, keine Rebellen, die uns überfallen wollten. Nur einen wunderbaren Ton nach dem nächsten, so eng aneinandergeschmiegt, als fürchteten sie, ohne die anderen verloren zu gehen. Und während sie dahinflossen, wurde aus meinem Geschenk für Kriss ein Geschenk für mich selbst.
Auch als Fünf war ich nicht nutzlos.
Ich spielte das Lied, das mir so vertraut war wie die Stimme meines Vaters oder der Geruch meines Zimmers zu Hause, und führte es schließlich zu seinem unvermeidlichen Ende. Ein letztes Mal strich ich mit dem Bogen über die Saiten und hob ihn schließlich schwungvoll in die Luft.
Dann wandte ich mich zu Kriss, in der Hoffnung, dass sie Freude hatte an ihrem Geschenk, doch ich konnte sie nirgendwo entdecken. Maxon hatte den Raum betreten. Er trug einen grauen Anzug und hatte einen Geschenkkarton für Kriss unter dem Arm. Die Mädchen klatschten mir Beifall, doch das nahm ich gar nicht richtig wahr. Ich sah nur Maxons ergriffenes und beeindrucktes Gesicht, auf das langsam ein Lächeln trat. Ein Lächeln, das nur für mich bestimmt war.
»Eure Majestät«, sagte ich und knickste.
Die Mädchen erhoben sich alle, um Maxon zu empfangen. Plötzlich hörte man einen entsetzten Aufschrei.
»Oh, nein! Das tut mir so leid, Kriss.«
Ein erschrockenes Raunen lief durch den Raum, und als Kriss sich umdrehte, sah ich auch den Grund dafür: Ihr schönes Kleid war vollkommen ruiniert durch Celestes roten Punsch. Es sah aus, als sei Kriss am Verbluten.
»Tut mir leid, ich habe mich zu schnell umgedreht. War keine Absicht, Kriss. Komm, ich helfe dir.« Für Außenstehende mochte Celestes Tonfall unschuldig wirken, aber ich durchschaute das Theater.
Kriss schlug die Hand vor den Mund und brach in Tränen aus. Dann rannte sie hinaus, womit das Fest abrupt endete. Maxon lief Kriss nach, was eine ehrenhafte Geste war, aber mir tat es leid, dass er nicht bei uns blieb.
Celeste versuchte sich zu erklären und wiederholte immer wieder, das sei ein furchtbares Missgeschick gewesen. Tuesday nickte und sagte, sie habe es gesehen, aber die meisten anderen verdrehten die Augen und ließen Celeste auflaufen. Ich packte leise meine Geige ein und wandte mich zum Gehen.
Aber Marlee hielt mich am Arm fest. »Irgendjemand muss was gegen sie unternehmen.«
Wenn Celeste ein sanftes Mädchen wie Anna zu Handgreiflichkeiten veranlasste, wenn sie glaubte, sie könne mir mein Kleid wegnehmen, oder wenn sie ein gutmütiges Wesen wie Marlee wütend machte, dann hatte sie tatsächlich bei den Erwählten nichts mehr zu suchen.
Ich musste wirklich dafür sorgen, dass dieses Mädchen aus dem Palast verschwand.
22
Ich sage Ihnen, Maxon, das war kein Versehen.« Wir gingen im Park spazieren, um uns die Zeit bis zum Bericht vom Capitol zu vertreiben. Erst zwei Tage nach Kriss’ Feier hatten wir Gelegenheit zum Gespräch gefunden.
»Aber sie sah sehr betroffen aus und hat sich entschuldigt«, entgegnete er. »Was soll es denn sonst gewesen sein, wenn nicht ein Versehen?«
Ich seufzte. »Ich kann es nur noch einmal wiederholen. Ich erlebe Celeste schließlich tagtäglich. Auf diese Weise hat sie Kriss ihren Auftritt ruiniert. Celeste versucht, uns andere mit hinterhältigen Mitteln aus dem Feld zu schlagen.«
»Nun, wenn sie geglaubt hat, dass sie mich damit von Kriss ablenken könnte, hat sie das Gegenteil erreicht. Ich habe fast eine Stunde mit ihr verbracht, und das war sehr nett.«
Davon wollte ich nichts hören. Die Gefühle zwischen Maxon und mir waren noch so zart, dass ich mich durch nichts ablenken lassen wollte. Zumindest nicht, solange ich mir über meine eigenen Wünsche nicht im Klaren war.
»Und was war dann mit Anna?«, fragte ich.
»Mit wem?«
»Anna Farmer. Sie hat Celeste geschlagen, und daraufhin wurde sie heimgeschickt, wissen Sie nicht mehr? Anna ist auf jeden Fall von ihr provoziert worden.«
»Haben Sie gehört, wie Celeste etwas Entsprechendes zu ihr gesagt hat?«, fragte Maxon skeptisch.
»Na ja … nein. Aber ich kannte Anna, und ich kenne Celeste. Anna war niemand, der einfach so handgreiflich wird. Celeste muss irgendetwas Schlimmes zu ihr gesagt haben.«
»America, ich weiß wohl, dass Sie mehr Zeit mit den Mädchen verbringen als ich, aber
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