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erbärmlich. Ich sah, wie Celeste die freie Hand zur Faust ballte.
»Sie sieht wahnsinnig hübsch aus«, kommentierte Marlee wehmütig.
»Mehr als das«, sagte ich.
Während das Fest weiterging, betrachteten Marlee und ich das Geschehen. Wir fanden es erstaunlich – und auch etwas verdächtig –, dass Celeste sich nun an Kriss’ Seite begab und auf sie einredete, während Kriss umherging und sich bei allen fürs Kommen bedankte, obwohl wir ja alle dazu verpflichtet gewesen waren.
Schließlich kam sie nach hinten, wo Marlee und ich am Fenster standen und die Sonne genossen. Ganz wie es ihre Art war, fiel Marlee Kriss um den Hals.
»Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag!«, rief sie.
»Danke!«, sagte Kriss und erwiderte die herzliche Umarmung.
»Du wirst heute neunzehn, oder?«, fragte Marlee.
»Ja. Und ich kann mir kein schöneres Fest vorstellen. Ich freue mich so, dass jemand fotografiert. Meine Mutter wird begeistert sein. Obwohl wir nicht arm sind, war doch nie genug Geld für so ein Fest da. Es ist fantastisch!«, schwärmte sie.
Kriss war eine Vier, wie Marlee. In ihrem Leben gab es nicht annähernd so viele Einschränkungen wie in meinem, aber so ein aufwendiges Fest konnte man sich in ihrer Kaste wohl doch nicht leisten.
»Sehr beeindruckend«, kommentierte Celeste. »Ich habe bei meinem letzten Geburtstag eine Schwarz-Weiß-Party gegeben. Wer irgendwas Farbiges trug, wurde nicht mal eingelassen.«
»Wow«, flüsterte Marlee, und sogar in diesem einen Wort kam ihr Neid zum Ausdruck.
»Es war grandios. Wir hatten Gourmetköche, eine tolle Lightshow – und die Musik! Wir hatten Tessa Tamble eingeflogen. Kennt ihr sie?«
Es ist unmöglich, Tessa Tamble nicht zu kennen. Sie ist ein Superstar und dauernd in den Charts. Manchmal hatten wir im Fernsehen Videoclips von ihr gesehen, die Mom allerdings ärgerlich fand. Sie hielt uns für erheblich talentierter als Tessa und war wütend, dass die Sängerin reich und berühmt war, obwohl wir genau dasselbe machten.
»Sie ist meine Lieblingsmusikerin!«, rief Kriss aus.
»Na ja, Tessa ist eine enge Freundin meiner Eltern. Deshalb ist sie auch bei meiner Party aufgetreten. Ich meine, wir konnten doch schließlich nicht irgendwelche schlappen Fünfer engagieren, die mit ihrem Auftritt nur alle deprimieren.«
Marlee warf mir einen raschen Seitenblick zu. Ich spürte, dass sie sich für Celeste schämte.
»Oje«, sagte Celeste und sah mich an. »Da hab ich nicht dran gedacht, America. Du bist ja auch eine Fünf. War keine Absicht.«
Ihr falscher, süßlicher Tonfall war unerträglich, und ich hatte schon wieder gute Lust, sie zu schlagen, riss mich aber zusammen.
»Kein Problem«, sagte ich so ruhig wie möglich. »Was machst du denn so als Zwei im Leben, Celeste? Ich hab deine Musik noch nie im Radio gehört.«
»Ich bin Model«, antwortete sie herablassend. »Hast du die Modestrecken von mir noch nie gesehen?«
»Nee, hab ich nicht.«
»Na ja, du bist eben eine Fünf. Wahrscheinlich kannst du dir die Zeitschriften nicht leisten.«
Das schmerzte, weil es der Wahrheit entsprach. May blätterte gerne in den Zeitschriften, wenn wir an einem Laden vorbeikamen, aber es kam nicht in Frage für uns, für so etwas Geld auszugeben.
Kriss entsann sich ihrer Rolle als Gastgeberin und wechselte das Thema.
»Weißt du, America, ich wollte dich auch immer schon fragen, was du als Fünf so machst.«
»Musik.«
»Du solltest mal für uns spielen!«
Ich seufzte. »Ich habe tatsächlich heute meine Geige dabei, weil ich dir als Geschenk ein Ständchen bringen wollte. Aber du hast ja schon das Streichquartett, deshalb dachte ich –«
»Ach, bitte spiel für uns!«, bat Marlee.
»Ja, bitte America, es ist doch mein Geburtstag!«, pflichtete Kriss ihr bei.
»Aber die haben schon –« Mein Protest verhallte ungehört, während Kriss und Marlee den Streichern Einhalt geboten und alle anderen nach hinten riefen. Einige Mädchen breiteten ihre Röcke aus und setzten sich auf den Boden, während andere sich Stühle herbeizogen. Kriss stand inmitten der Gesellschaft und rang vor Aufregung die Hände; Celeste hielt sich am Rand, ihr Glas in Händen.
Als die Mädchen zur Ruhe kamen, nahm ich meine Geige aus dem Kasten. Die vier jungen Männer vom Streichquartett traten zu mir, um mich zu begleiten, und die Dienstboten, die bisher geschäftig umhergeeilt waren, blieben ruhig stehen.
Ich holte tief Luft und setzte die Geige an. »Für dich«, sagte ich und deutete
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