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den ganzen Tag unterwegs – saß in der Bibliothek, machte Spaziergänge mit Marlee oder ging zwischendurch auf mein Zimmer, um mit meinen Zofen zu plaudern. Doch jetzt nutzte ich den Damensalon wie eine Höhle zum Verkriechen. Kein Mann, nicht einmal die Wachen, hatte ohne die explizite Erlaubnis der Königin Zutritt zu diesem Raum, was in dieser Situation ideal für mich war.
Drei Tage lang kam ich mit dieser Taktik durch. Aber bei so vielen Mädchen war es nur eine Frage der Zeit, bis jemand Geburtstag hatte und zu einer Feier einlud. In dieser Woche war es Kriss, die am Donnerstag ein Fest gab. Sie hatte es wohl Maxon gegenüber erwähnt – der immer gerne Geschenke verteilte –, worauf er eine Party organisierte. Und so herrschte an diesem Tag ein wildes Durcheinander auf den Zimmern, weil alle Mädchen hin und her rannten, um mit den anderen zu erörtern, wie festlich der Anlass wohl würde und was man dazu am besten trüge.
Geschenke wurden von uns offenbar nicht erwartet, aber ich plante dennoch eine kleine Überraschung für Kriss: Am Donnerstag zog ich eines meiner Lieblingstageskleider an und nahm meine Geige mit. Ich schlich zum Großen Saal hinunter und schaute vorsichtig um die Ecke, bevor ich weiterging. Kurz vor dem Saal beäugte ich die vielen Wachen, die an der Wand aufgereiht standen. Zum Glück war Aspen nicht dabei. Der Anblick so vieler Männer in Uniform brachte mich unwillkürlich zum Grinsen. Erwarteten die einen Aufstand oder was?
Der Große Saal war wunderschön geschmückt: An den Wänden hingen Vasen mit üppigen gelbweißen Blumensträußen, und Kugelvasen mit denselben Bouquets waren im ganzen Raum verteilt. Fenster, Wände und Mobiliar hatte man mit schillernden Girlanden dekoriert, die mit unechten Juwelen bestickt waren. (Ich hoffte zumindest, dass sie nicht echt waren.) Überall standen kleine Tische, und auf den bunten Decken lag glitzerndes Konfetti. An den Stuhllehnen prangten prächtige Schleifen.
In einer Ecke wartete eine riesige Torte, farblich auf die Dekoration abgestimmt, darauf, angeschnitten zu werden. Und auf einem kleinen Tisch daneben lagen Geschenke für das Geburtstagskind.
An einer Wand stand ein Streichquartett und musizierte, womit mein Geschenk für Kriss hinfällig wurde, und ein Fotograf wanderte umher und hielt das Geschehen für die Öffentlichkeit fest.
Die Stimmung im Raum war ausgelassen. Tiny, die sich bislang nur mit Marlee angefreundet hatte, unterhielt sich angeregt mit Emmica und Asha. Marlee stand so aufrecht wie die vielen Wachen an einem Fenster und plauderte mit allen, die vorbeikamen. Kayleigh, Elizabeth und Emily wanderten zu dritt durch den Raum und winkten und lächelten allen zu. Ich erwiderte die Geste. Heute schienen alle freundlich und fröhlich zu sein – mit Ausnahme von Celeste und Bariel. Die beiden waren sonst unzertrennlich, aber an diesem Tag blieben sie auf Abstand zueinander. Bariel sprach mit Samantha, und Celeste saß alleine an einem Tisch, ein Glas mit einer dunkelroten Flüssigkeit in Händen. Offenbar hatte ich irgendetwas nicht mitbekommen, was sich zwischen den beiden abgespielt hatte.
Ich nahm meinen Geigenkoffer und ging zu Marlee.
»Hi, Marlee. Tolles Fest, oder?«, fragte ich und stellte den Koffer ab.
»Und ob.« Sie umarmte mich. »Maxon soll angeblich später noch vorbeikommen, um Kriss zu gratulieren. Ist das nicht süß? Er hat bestimmt auch ein Geschenk für sie.«
Marlee sprach in ihrem üblichen schwärmerischen Ton weiter. Ich fragte mich immer noch, was wohl ihr Geheimnis war, verließ mich aber darauf, dass sie darauf zu sprechen kommen würde, wenn sie es brauchte. Wir plauderten ein Weilchen über dies und das, bis sich am anderen Ende des Raums Unruhe ausbreitete.
Wir drehten uns beide um. Marlee wirkte ungerührt, aber mir versetzte der Anblick eine Art Schock: Kriss hatte ihr Kleid strategisch unglaublich geschickt gewählt. Alle anderen trugen kurze mädchenhafte Tageskleider – und sie erschien in einem bodenlangen Abendkleid. Doch noch wirkungsvoller als die Länge war die Farbe: ein cremiges Weiß. Ihr Haar war mit einer Reihe gelber Edelsteine hochgesteckt, die an eine Krone erinnerten. Sie sah wie eine königliche Braut aus.
Obwohl ich mir nicht sicher war, wo mein Herz hingehörte, empfand ich jetzt einen Anflug von Eifersucht. Keine von uns anderen würde einen solchen Auftritt erleben können. So viele Feiern es noch geben mochte – Kriss’ Outfit zu kopieren, wäre
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