Selection
kennen Sie sie wirklich so gut? Sie halten sich doch vorwiegend in Ihrem Zimmer oder in der Bibliothek auf. Ich würde behaupten wollen, dass Sie den Charakter Ihrer Zofen besser einschätzen können als den sämtlicher Erwählten.«
Das stimmte möglicherweise sogar, aber ich war nicht bereit aufzugeben. »Das ist nicht fair. Und was Marlee angeht, hatte ich recht, oder nicht? Sie finden Sie doch auch nett, oder?«
Er verzog das Gesicht. »Ja … sie ist wohl schon nett.«
»Und warum wollen Sie mir dann nicht glauben, dass Celeste mit Vorsatz gehandelt hat?«
»Ich denke doch nicht, dass Sie lügen, America. Sie haben die Situation bestimmt so erlebt, wie Sie sie schildern. Aber Celeste tut der Zwischenfall wirklich leid. Und zu mir war sie immer sehr liebenswürdig.«
»Was denn sonst«, murmelte ich.
»Jetzt ist es aber genug«, sagte Maxon mit einem Seufzer. »Ich will nicht mehr über die anderen Mädchen sprechen.«
»Sie wollte mir mein Kleid wegnehmen, Maxon«, klagte ich.
»Ich sagte doch, dass ich nicht mehr über sie sprechen möchte«, erwiderte er. Sein Tonfall war scharf.
Ich schnaubte, riss genervt die Hände hoch und ließ sie wieder fallen. Am liebsten hätte ich vor Wut geschrien.
»Wenn Sie sich so aufführen, werde ich mir jemanden suchen, der meine Gesellschaft wirklich wünscht«, sagte Maxon und entfernte sich.
»Hey!«, rief ich ihm nach.
»Nein!« Er drehte sich um und sprach mit einer Autorität, die ich ihm gar nicht zugetraut hätte. »Sie vergessen sich, Lady America. Es wäre angebracht, sich daran zu erinnern, dass Sie den Thronfolger von Illeá vor sich haben. Ich bin sozusagen Herrscher dieses Landes und habe nicht die Absicht, mich von Ihnen in meinem eigenen Zuhause so behandeln zu lassen. Sie müssen meine Entscheidungen nicht gutheißen, aber Sie werden sie befolgen.«
Und damit wandte er sich ab und ging weg, ohne sich darum zu kümmern, dass mir Tränen in den Augen standen.
Während des Essens vermied ich es, in seine Richtung zu schauen, doch während des Berichts vom Capitol war das nicht so einfach. Ich bemerkte zweimal, wie er mich anschaute und sich am Ohr zupfte, aber ich reagierte nicht darauf. Vorerst hatte ich keine Lust, mit ihm zu sprechen. Er wollte mich bestimmt nur weiter maßregeln, und darauf hatte ich keine Lust.
Nach dem Bericht ging ich auf mein Zimmer. Ich regte mich so sehr über Maxon auf, dass ich nicht klar denken konnte. Weshalb wollte er mich nicht anhören? Hielt er mich für eine Lügnerin? Oder glaubte er womöglich, Celeste sei so ein perfektes Wesen, dass sie niemals lügen würde?
Vermutlich war Maxon eben nur ein Mann wie alle anderen, und Celeste war ein hübsches Mädchen, was letztendlich den Ausschlag geben würde. Vielleicht suchte er in Wahrheit auch gar keine Seelenverwandte, sondern lediglich eine Bettgespielin.
Aber wenn er wirklich so ein Typ war – weshalb gab ich mich dann überhaupt mit ihm ab? Wie dumm konnte man eigentlich sein? Ich hatte ihn geküsst! Ihm gesagt, dass ich Zeit brauchte! Und wofür das alles? Nur damit –
Ich bog um die Ecke im Flur, und da stand Aspen, vor meiner Zimmertür. Meine Wut verrauchte und machte einer seltsamen Unsicherheit Platz. Wachen blickten normalerweise starr geradeaus, aber Aspen sah mich mit einem rätselhaften Blick an.
»Lady America«, flüsterte er.
»Officer Leger.«
Obwohl das nicht zu seinen Aufgaben gehörte, öffnete er mir die Tür. Ich ging langsam an ihm vorbei, wollte ihm nicht einmal den Rücken zukehren, weil ich fürchtete, er sei vielleicht nicht real. Sosehr ich mich bemüht hatte, ihn aus meinem Kopf zu vertreiben, so sehr sehnte ich mich jetzt danach, ihn in den Armen zu halten. Als ich an ihm vorbeiging, hörte ich ihn dicht neben mir einatmen, und ein Schauer lief über meine Haut.
Er warf mir noch einen starren Blick zu und zog dann die Tür langsam zu.
An Schlaf war nicht zu denken. Ich wälzte mich stundenlang herum und dachte an Maxons Verbohrtheit und an Aspen vor meiner Tür. Mir fiel keine Lösung für all das ein, und ich war so verfangen in meinen Grübeleien, dass mir erst nach zwei Uhr auffiel, wie spät es schon war.
Ich seufzte. Meine Zofen würden sich morgen schwer ins Zeug legen müssen, um mich so zurechtzumachen, dass man nichts merkte von meiner Schlaflosigkeit.
Plötzlich fiel Licht ins Zimmer. So leise, dass es mir vorkam, als träume ich, öffnete Aspen die Tür, kam herein und schloss sie rasch hinter sich.
»Was tust
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