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weitete sich der schmale Gang, und wir sahen eine von Menschenhand geschaffene Höhle. Über weitere Treppen kamen die anderen Erwählten angelaufen und passierten eine massive Tür. Auch wir beeilten uns, zum Eingang zu gelangen.
»Danke, dass Sie dieses Mädchen hergebracht haben. Sie können jetzt gehen«, sagte ein Wachmann zu meinen Zofen.
»Nein! Sie müssen bei mir bleiben«, sagte ich entschieden.
»Aber sie haben ihre eigenen Zufluchtsorte, Miss«, wandte der Wachmann ein.
»Also gut. Wenn sie nicht reindürfen, bleibe ich auch nicht hier. Prinz Maxon wird sicher hocherfreut sein, wenn er hört, dass Sie meine Abwesenheit zu verantworten haben. Gehen wir, meine Damen.« Ich zog Mary und Lucy an der Hand. Anne schien vor Schreck erstarrt zu sein.
»Warten Sie! Warten Sie!«, sagte der Wachmann. »Na schön, dann gehen Sie rein. Aber wenn es mit irgendwem Ärger gibt, müssen Sie dafür geradestehen.«
»Kein Problem«, erwiderte ich, winkte die Mädchen durch die Tür und folgte ihnen hocherhobenen Hauptes.
Im Inneren der Höhle ging es drunter und drüber. Einige Mädchen hockten am Boden und weinten, andere beteten. Der König und die Königin saßen abseits, umgeben von Wachen. Maxon war bei ihnen und hielt Elayna die Hand. Sie wirkte ziemlich verstört, schien sich aber durch die Berührung des Prinzen zu beruhigen. Die Königsfamilie befand sich nahe der Tür, und ich fragte mich, ob es sich so verhielt wie beim Kapitän eines sinkenden Schiffes. Das Königspaar würde alles tun, um das Schiff vorm Sinken zu bewahren, aber wenn es dazu kam, würden die beiden zuerst ertrinken.
Die kleine Gruppe sah uns hereinkommen. Die erstaunten Mienen angesichts meiner Begleitung entgingen mir nicht – ich nickte dem Königspaar kurz zu und ging dann aufrecht weiter. Felsenfest davon überzeugt, dass man mich in Ruhe lassen würde, solange ich selbstsicher wirkte.
Das war allerdings ein Irrtum.
Ich war kaum drei Schritte weitergegangen, als Silvia zu mir trat. Sie sah unglaublich gelassen aus. Offenbar war sie mit solchen Situationen vertraut.
»Gut, dass wir Hilfe bekommen. Mädchen, ihr geht bitte sofort zu den Wassertanks weiter hinten und bringt der Königsfamilie und den Damen etwas zu trinken. Jetzt«, befahl sie.
»Nein.« Ich wandte mich zu Anne und gab ihr meine erste wirkliche Anweisung. »Anne, bringen Sie bitte dem König, der Königin und dem Prinzen etwas zu trinken und kommen Sie dann wieder zu mir.« Ich sah Silvia an. »Die anderen können sich selbst bedienen. Wenn sie ihre Zofen im Stich lassen, können sie ihr Wasser selbst holen. Meine Zofen bleiben bei mir. Kommen Sie, meine Damen.«
Ich wusste, dass die Königsfamilie mich gehört hatte. In meinem Bestreben, mich durchzusetzen, hatte ich die Stimme erhoben. Sollten sie mich nun für unhöflich halten, machte mir das jedenfalls nichts aus. Lucy hatte alleine schon so viel Angst wie die Hälfte der hier Anwesenden zusammengenommen. Sie zitterte wie Espenlaub, und ich würde nicht zulassen, dass sie in ihrem Zustand Menschen bedienen musste, die mir nicht einmal sympathisch waren.
Vielleicht schlug nun die ältere Schwester bei mir durch, aber ich fühlte mich verantwortlich für diese Mädchen.
Wir suchten uns eine Stelle im hinteren Teil der Höhle. Offensichtlich war man hier unten nicht auf die Erwählten vorbereitet, denn es gab zu wenige Stühle. Aber mit den Wasser- und Essensvorräten, die ich sehen konnte, würden wir alle zur Not monatelang überleben können.
Es war ein merkwürdiger Haufen, der sich hier versammelt hatte. Einige Männer aus der Verwaltung hatten offenbar bis spätnachts gearbeitet und trugen noch ihre Anzüge. Auch Maxon war vollständig bekleidet. Doch die Mädchen waren fast alle in den Nachthemden erschienen, mit denen man in unseren warmen Zimmern gut schlafen konnte, die hier unten aber viel zu dünn waren. Nicht alle hatten sich in der Eile etwas überziehen können. Und sogar ich fror ein bisschen unter meinem Morgenmantel.
Einige Mädchen hatten sich ganz vorne im Raum niedergelassen. Sie würden bei einem Angriff als Erste sterben. Doch bis dahin konnten sie ausgiebig Maxons Nähe genießen. Andere hielten sich eher im hinteren Bereich auf, und die meisten von ihnen waren in ähnlichem Zustand wie Lucy – zitternd, weinend, völlig verängstigt.
Anne brachte der Königsfamilie Wasser, während ich den Arm um Lucy legte und Mary sich an ihre andere Seite kuschelte. Da es nichts Erfreuliches
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