Selig in Kleinöd: Kriminalroman (German Edition)
die Haustür geöffnet und ihn wieder hereingelassen, wenn er Einlass begehrte.
Jetzt atmete er tief durch und ging mit Joschi den Hügel hinab. Rote Äpfel hingen an den Bäumen. Die ersten Birnen hatten sie gemeinsam vor einer Woche eingelagert. Sollte er etwa allein das ganze Obst ernten, und wenn ja, wohin damit? Malwine hatte vom Dörren, vom Einkochen und von Marmeladen gesprochen, sie hatte die Gefriertruhe abgetaut, ausgewaschen und für sämtliche Vorräte vorbereitet. Von ihren Senffrüchten hatte sie ihm vorgeschwärmt und von köstlichem Apfelmus. »Das wird ein leckerer Winter«, hatte sie versprochen, und ihm war das Wasser im Mund zusammengelaufen. Es war unfair, dass ausgerechnet jetzt alles reif war. Als wolle der Garten ihn verhöhnen.
Die frische Luft tat gut. Meinrad erreichte nach kurzer Zeit die ersten Häuser des Kleinöder Dorfrandes. Weit sichtbar glitzerten im Mittagslicht das gläserne Treibhaus der Bürgermeistersgattin und die Solaranlagen auf den Haus- und Scheunendächern. Er dachte an Elise Waldmoser, die sicher auch ihre Ernte konservieren würde, und schüttelte sich. Es würde garantiert scheußlich schmecken, wie bisher ihre ganze Produktion ungenießbar gewesen war.
Wie liebevoll die Hausbesitzer in ihren gepflegten Vorgärten werkelten, Rasen mähten, Unkraut zupften und verwelkte Blüten abschnitten. Jeder Garten ein Miniaturpark mit eigener Geometrie und individueller Architektur. Als gäbe es kein Zeitvergehen und kein Unglück, als sei es möglich, sich mit der Ordnung des eigenen Gartens gegen drohendes Unheil zu wappnen.
Er, Meinrad wusste es besser. Und dennoch sagte er die Worte vor sich hin, die Malwine ihm beigebracht hatte: Herbstastern, Anemonen, Gladiolen, Chrysanthemen, Knöterich, Tagetes und Sonnenhut. Er begrüßte die Pflanzen, nannte sie beim Namen und beschloss, sie dann wieder zu vergessen.
Er ging über die Dorfstraße und näherte sich der Kirche und dem Friedhof. Hier würde Malwine ihre letzte Ruhe finden. Wer hier lag, hatte nichts mehr zu befürchten. Seltsamerweise empfand er diesen Gedanken als wenig tröstlich.
»Der Doktor kommt da drüben hin, und die Malwine hier zu ihren Leut«, hörte Meinrad plötzlich jemanden sagen und zuckte zusammen. »Kannst schon mal graben und mit grüner Rasenfolie auslegen. Was wir haben, das haben wir, und wer weiß, ob morgen auch so schönes Wetter ist.« Jemand klopfte ihm auf die Schulter. »Das sehen wir aber gar nicht gern. Hunde auf dem Friedhof. Dass der sich nur ordentlich benimmt.« Meinrad drehte sich um und stand dem Pfarrer gegenüber. »Ach, Sie sind es.« Moosthenninger reichte ihm die Hand, bückte sich und strich Joschi über den Kopf. »In diesem Fall mache ich eine Ausnahme. Der Hund ist ja Teil der Trauergemeinde.«
Moosthenninger blickte Meinrad an. »Sie sind ja ganz blass, mein Lieber! So gefallen Sie mir ja gar nicht. Essen Sie mal was Ordentliches, sonst kann der da auch schon bald für Sie tätig werden.«
Er wies auf den Totengräber.
»Der Herr Doktor?«, fragte Meinrad nach. »Ist das der Günther Hellmann?«
Hochwürden Moosthenninger nickte und war sichtlich froh, das Thema wechseln zu können. »Ja, kennen Sie ihn?«
»Er hat mich mit Malwine zusammengeführt. Wäre er nicht gewesen, wüsste ich nicht einmal, dass ich eine Verwandte hab und wer mein Vater war.«
»Ja, die Wege des Herrn sind nicht immer leicht zu verstehen. Und die arme Gertraud Halber hat ja selbst kein richtiges Zuhause und muss bei ihrer Tante wohnen, was man so hört, und dann wird ihr der Verlobte genommen. Aus der Mitte des Lebens heraus. Auch das ist ein Zeichen, dass wir jeden Tag so leben sollten, als wär es unser letzter.«
Mit gefalteten Händen sah der Pfarrer dem Totengräber zu, der dicke Lehmbrocken aus der Grube schaufelte. »Aus der Erde kommen wir, und zu Staub werden wir. Und dieser letzte Weg bleibt niemandem erspart.« Er seufzte und blickte nachdenklich über seinen Friedhof.
Meinrad starrte auf den Grabstein vor sich. Der Friedhofsgärtner stöhnte und schwitzte und stieß seinen Spaten rhythmisch in den fetten Lehmboden. Da unten lagen Hannes und Hermann Brunner. Vater und Sohn. Und nun würde Malwine hinzukommen.
Meinrad fragte sich, ob er dort auch unterkommen könnte. Das Grab seines unbekannten Vaters gefiel ihm nicht. Es lag in der nordöstlichsten Ecke des Friedhofs, und die Kalkhölzl hatte es mit Kieselsteinen aus ihren Kiesgruben bedecken lassen. Große marmorierte und
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