Selig in Kleinöd: Kriminalroman (German Edition)
schwere Steine, als müsste sie um jeden Preis verhindern, dass er diesen Platz jemals wieder verlassen könne.
Meinrads Überlegungen, wie er gerade jetzt und heute seinen Wunsch nach einer eigenen letzten Ruhestätte am klügsten formulieren könnte, wurden vom plötzlichen Rufen und Winken des Pfarrers unterbrochen. Außerhalb der schmiedeeisernen Friedhofsmauern schob eine untersetzte und schwarz gekleidete Frau einen Kinderwagen vor sich her.
Hochwürden Moosthenninger rief ihr zu: »Hallo Gertraud, du hast ja gestern zu mir gemeint, du kennst keinen von den Freunden deines Verlobten. Hier hab ich einen. Der kann dir sicher einiges über ihn erzählen. Meinrad heißt der. Nun komm halt mal her.«
Als die Fremde aufblickte, entdeckte Meinrad in ihren umschatteten Augen den gleichen lodernden Schmerz, den auch er seit einigen Tagen mit sich trug.
Es war genau elf Uhr fünfundvierzig, als Franziska vor Adolf Schmiedingers Polizeiwache in Kleinöd parkte. In den Gärten des kleinen Weilers entfaltete sich herbstliche Blütenpracht, und wie so oft träumte Franziska auch jetzt davon, sich später, wenn sie mal nicht mehr arbeiten würde, einen Garten zuzulegen. Nur noch einmal, aber dann zum allerletzten Mal umziehen: in ein mittelgroßes Haus mit einer von Beeten umrahmten Rasenfläche und einem Wintergarten, um dort gelassen zuzuschauen, wie Pflanzen keimten, wuchsen, aufblühten und verwelkten. Wäre man da nicht viel näher am Leben, an den Jahreszeiten und an den wirklich wichtigen Dingen? Auch ihrem Mann täte das gut. Er säße dann nicht von morgens bis abends hinter dem Schreibtisch, um sich mit abstrakten Gedanken und komplizierten Formulierungen herumzuschlagen. Und der Kater erst! Schiely würde im Zickzack über die Wiese laufen und sich seines Lebens freuen.
Mit einem Apfel in der Hand und voller Tatendrang trat in diesem Augenblick der Polizeiobermeister auf die Straße und verschloss sorgfältig die Tür seiner Dienststelle.
»Jetzt soll der Bürgermeister mal beweisen, dass er seine Leut gut im Griff hat, oder?«, meinte er und schien sich auf die Konfrontation zu freuen.
Franziska lächelte kryptisch. »Wenn er nicht selbst was damit zu tun hat.«
Adolf Schmiedinger riss die Augen auf. »Des meinen Sie doch ned im Ernst!«
»Kann man in die Leute hineinsehen?«, erwiderte Franziska.
»Da haben S’ auch wieder recht. Ich hab den Waldmoser extra ned vorgewarnt. Dann schaun mir doch amal. Jetzt ist der eh ned mehr in seinem Rathaus – fahren wir am besten gleich zu seinem Haus.«
Er stieg zur Kommissarin ins Auto und schnallte sich umständlich an.
Elise Waldmoser trug einen schwarzen Samtrock, eine rote Seidenbluse und eine blütenweiße Schürze. Beunruhigt stand sie in der geöffneten Eingangstür und begrüßte die beiden Besucher mit hochroten Wangen und einem vehementen Kopfschütteln. Schweißperlchen standen auf ihrer Stirn.
»Wir sind fei grad am Mittagessen, das geht jetzt wirklich ned.« Sie schien ihren Besuchern die Tür vor der Nase zuschlagen zu wollen.
»Kein Problem. Wir können warten. Wir bräuchten halt mal wieder dringend die Hilfe Ihres Mannes«, meinte Franziska lächelnd und sah sich in der mit blassrosa Marmor gefliesten Diele des Bürgermeisters um. Rosenquarzfarbener Marmor in Niederbayern! Hier wurden tatsächlich alle Phantasien von der Wirklichkeit übertroffen. Vermutlich war der Fußboden ein sogenanntes Schnäppchen des Baulöwen Döhring gewesen, der sich im Gegenzug dafür Vorteile vonseiten des Bürgermeisters erwarten durfte. Der ganze Raum war mit schwarz gebeiztem Holz getäfelt und erinnerte in seiner Düsternis an mittelalterliche Rathaussäle.
»Wie Sie meinen.« Elise Waldmoser hob die Schultern, ließ die zwei Besucher ein und verschwand mit hochgezogenen Schultern in den Tiefen des Flurs.
»Die haben sicher hohen Besuch, so wie die angezogen ist«, stellte Schmiedinger mit Kennerblick fest, und Franziska sah ihm an, dass er nun nicht mehr ganz so mutig war wie vor noch knapp zehn Minuten.
»Wir wollen den Waldmoser ja nicht festnehmen. Wir wollen doch nur, dass der dem Reschreiter ins Gewissen redet. Bei der Aktion verliert niemand sein Gesicht«, beruhigte sie ihn. Ihre Augen hatten sich inzwischen an das Halbdunkel gewöhnt, und sie sah sich in dem großen Raum um.
Frau Waldmoser war durch einen Rundbogengang in den angrenzenden Flur verschwunden. Der Zugang zum Flur war von Geweihen umrahmt, an den Wänden der ansonsten kahlen Diele
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