Selig in Kleinöd: Kriminalroman (German Edition)
Reschreiter Lukas ein »da bin ich« und vermied den Blickkontakt mit der Kommissarin. Wortlos ließ er sich auf den Besucherstuhl vor ihrem Schreibtisch fallen und starrte auf seine Hände.
Franziska fuhr ihren Rechner hoch, öffnete das Protokollformular, schrieb Angaben zur Person und zum Gegenstand der Befragung in die blinkenden Felder der Tabelle und nickte ihrem Besucher aufmunternd zu: »So, und nun erzählen Sie mal.«
Der sah nicht einmal hoch. »Ich sag nix.«
Sie verschränkte beide Arme vor der Brust und schwieg ebenfalls – in der Hoffnung, er möge zu jenen Menschen gehören, die sich während eines längeren Schweigens unwohl fühlten und dann doch zu reden begannen.
Der Luck allerdings erwies sich als resistent und begutachtete nun überaus kritisch seine blitzblank geputzten Schuhe.
Auf der Tastatur ihres Computers, direkt über der Escape-Taste, lag die rote Kapsel einer Pfaffenhütchenfrucht, die aufgrund ihrer Form und Farbe tatsächlich an ein Birett denken ließ. Franziska hatte sie heute früh auf ihrem Weg ins Büro aus einem Vorgarten mitgehen lassen.
Während Reschreiter weiterhin sein Schuhwerk fixierte, betrachtete die Kommissarin die rote Frucht mit der leuchtend gelben Samenkapsel und fragte sich, ob Malwine sich womöglich systematisch selbst vergiftet haben könnte. Denn die Pfaffenhütchen waren so auffällig, dass man sie weder aus Versehen zu sich nehmen noch als tödliche Beigabe im morgendlichen Müsli übersehen konnte. Aber warum hätte Malwine nicht mehr leben wollen? Irgendwas stimmte da nicht.
Jetzt hatte der Luck seinen Blick eine Etage höher geholt und starrte auf seine roten und ungewöhnlich großen Hände. Franziska erinnerte sich, wie geschickt er mit diesen Händen Tiere präparierte. Ob Luise Langrieger sich über ihre ausgestopfte Katze gefreut hatte? Auch wenn deren Augen nun für immer blau waren?
Nein, sie, Franziska, würde ihren Kater, wenn es eines Tages so weit war, nicht konservieren lassen. Sie würde ihn begraben und lebendig in Erinnerung behalten.
Auf Reschreiters Stirn hatten sich Schweißperlen gebildet. Er räusperte sich. Sie sah ihn streng an und stellte eine etwas unverfänglichere Frage: »Haben Sie die Brunner Malwine in den letzten Wochen gesehen?«
Er nickte.
»Auch mit ihr gesprochen?«
Er nickte erneut.
»Was für einen Eindruck machte sie auf Sie?«
»Normal. Wie immer«, sagte der Reschreiter Luck und sah immer noch nicht hoch.
»Wirkte sie vielleicht traurig oder irgendwie bedrückt?«
Jetzt schüttelte er vehement den Kopf. »Nein, sie ging jeden Nachmittag mit ihrem Hund spazieren und kam dann eben auch mal bei mir vorbei, also an unserem Haus halt. Aber mein Lumpi kann der ihren Joschi nun mal nicht leiden. Weil der so verwöhnt ist und sogar bei der Malwine mit im Bett schlafen darf, sagt meine Frau. Und dann standen die Viecherl sich gegenüber und haben sich jedes Mal über den Zaun hinweg angekläfft. Da hat die Malwine gelacht.«
Franziska nickte nachdenklich. Das hörte sich wirklich nicht nach schwerster Depression an.
Auf einmal begann Reschreiters Lumpi zu knurren, und noch bevor sein Besitzer irgendetwas sagen konnte, öffnete sich die Tür, und Bruno Kleinschmidt trat schwungvoll ein. Sein Auftritt war beeindruckend. Als gehöre ihm die Welt oder zumindest die örtliche Polizeistation Landau an der Isar. Heute trug er eine bordeauxrote Cordhose, dazu ein Seidenhemd und ein Jackett in derselben Farbe. Auch seine handgenähten Lederschuhe schienen rötlich zu schimmern. Rot, dachte Franziska, die Farbe der Liebe.
»Hey, du wirst es nicht glauben …«, begann er und entdeckte erst dann ihren Besucher.
Der Dackel bellte.
Der Reschreiter Luck blickte nur kurz auf, um sich dann erneut seinen Schuhspitzen zu widmen.
Bruno stellte sich hinter Waldmosers Wildhüter und signalisierte in Zeichensprache die Frage: Denkst du, er war es?
»Ich habe Herrn Reschreiter als Zeugen vorgeladen«, klärte Franziska ihn auf. »Leider weiß ich immer noch nicht, warum er die Patronenhülsen auf dem Binderschen Grundstück verteilt hat und wer ihm das angeschafft hat.«
Ihr Zeuge rührte sich nicht.
»Wenn er sich weiter so unkooperativ erweist, sollten wir mit dem Richter sprechen und eine Beugehaft erwirken.«
»Lass nur.« Bruno unterbrach sie mit der Ausstrahlung jener Unverwundbarkeit, über die nur Frischverliebte verfügen. Souverän baute er sich vor Reschreiter auf.
»Sind Sie eigentlich auch im
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