Selig in Kleinöd: Kriminalroman (German Edition)
zurückhaltend und mit unendlich vielen Konjunktiven hatte der Gerichtsmediziner mit seiner schüchternen Stimme auf ihr Band gesprochen. Er habe sich erlaubt, der Sache nachzugehen, und möglicherweise sei an seiner Theorie mit den einheimischen Giftpflanzen doch was dran, man dürfe die Natur keinesfalls unterschätzen. Außerdem: Je mehr er sich auf die Sache einlasse, desto eher neige er zu der Vermutung, dass das Opfer durch die leuchtend roten Früchte des gemeinen Pfaffenhütchens ums Leben gekommen sein könnte. Ob er denn dieser Sache nachgehen solle.
Franziska verdrehte die Augen. Brauchte er etwa von ihr die Erlaubnis, einem bestimmten Verdacht nachgehen zu dürfen? Sie schloss beide Hände um ihre Teetasse und zwang sich zur Ruhe. Dann rief sie ihn zurück.
Natürlich war er schon aktiv geworden, hatte sich aus seinem Keller in den herbstlichen Nachmittag herausgewagt und Früchte von den Ziergehölzen im Krankenhausgarten gepflückt, um deren Zusammensetzung mit den Substanzen aus Malwines Magen zu vergleichen.
»Hochinteressant, Sie werden es nicht glauben«, begann er, und Franziska sah auf die Uhr. Das würde ein langes Gespräch werden. Spontan fragte sie ihn, ob er nicht Lust habe, mit ihr zu Abend zu essen, und verspürte eine große Erleichterung, als er zögernd zusagte.
Ungeduldig riss Martha Moosthenninger die Schublade aus dem Nachtschränkchen und leerte deren Inhalt auf das soeben gemachte Bett. Es war ein Wust an gefalteten Papieren. Seit Jahr und Tag schon lag sie ihrem Bruder in den Ohren, dass sie einen eigenen Computer brauchte, aber Wilhelm hatte einfach kein Einsehen. Hätte sie einen eigenen Rechner, wäre sie nicht auf diese Zettelwirtschaft angewiesen. Aber nein: An dem Punkt blieb ihr Bruder hart. Das hieß, sie musste weiterhin von all ihren Aktionen Ausdrucke machen und im Anschluss daran alle privat verwendeten Daten löschen, damit kein kirchlicher Revisor auf die Idee käme, der Rechner im Pfarrhaus Sankt Konrad stünde weltlichen Zwecken zur Verfügung.
Was für eine Papierverschwendung! Und nirgendwo sonst ließen sich die Dinge so gut ordnen wie im kirchlichen Computer.
Jetzt suchte sie den Ausdruck ihrer E-Mail-Korrespondenz mit dem Geometer und ordnete die auseinandergefalteten Papiere auf ihrem glatt gestrichenen Oberbett. Endlich fand sie die Rechnung, die eigentlich in die Unterabteilung »Rechnungen« des Agnes-Ordners gehört hätte, aber Martha Moosthenninger hatte in letzter Zeit einfach zu viel zu tun gehabt. Nachdenklich betrachtete sie das glatt gestrichene Papier. Der Betrag, den dieser Experte von ihr verlangt hatte, war so niedrig gewesen, dass sie ihn damals gleich angerufen und gefragt hatte, ob das die erste Rate sei und mit wie vielen Ratenzahlungen sie noch zu rechnen habe.
Sein Lachen klang ihr noch jetzt im Ohr. »Gute Frau, nachdem ich mit meinen Händen in Ihrem Schlamm gewühlt habe, hatte ich tatsächlich ein paar Tage lang kein Feuer mehr in den Gelenken. Zu Ihrer Beruhigung: Nein, mehr Rechnungen kommen nicht.«
Dieser Mann hatte schon damals von einem Wunder gesprochen. Er war der Richtige. Während sie seine Nummer wählte, erinnerte sie sich an den kleinen und untersetzten Geometer. Er humpelte ein wenig, fast so wie die Harbinger Agnes, allerdings hatte die nur ihr linkes Bein nachgezogen, der Geometer dagegen schien beide Beine wie eine Last hinter sich herzuschleppen und dabei jeweils über seine Zehen zu stolpern – wenn so etwas überhaupt möglich war. Und dann die roten und geschwollenen Hände. Während er mit seinen Messgeräten hantierte, hatte er still vor sich hin geflucht, weil all seine Bewegungen mit Schmerzen verbunden waren.
Er war der ideale Kandidat.
»Ich könnt Sie fei von Ihren Schmerzen befreien«, eröffnete sie das Gespräch.
»Das wäre schön. Wunderbar wäre das. Mit wem spreche ich denn?«
»Sie erinnern sich bestimmt an mich: Martha Moosthenninger aus Kleinöd. Wir haben gemeinsam die Quelle auf dem Brunnerhof entdeckt. Die mit dem heißen Salzwasser. Sie wussten halt, wie das mit dem Koordinatenkreuz zu machen ist, und dann hatten Sie ja auch noch die sechs Tanten dabei.«
»Ach, Sie meinen den Sextanten«, er lachte. »Ja, ich erinnere mich. Wie sieht’s denn nun aus? Ist noch mehr Wasser aus der Quelle gekommen, und haben Sie das weiter untersuchen lassen?«
Sie kam gleich zur Sache: »Ich brauch Sie für eine Untersuchung.«
»Mich?«
»Ja, Sie haben doch damals selber gesagt, dass das wie
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