Selig in Kleinöd: Kriminalroman (German Edition)
großgezogen werden. Bei der ging es ihr eh besser.
Sie stellte sich eine Doppelbeerdigung vor. Sie an der Seite ihres geliebten Günther. Gab es eigentlich extrabreite Särge für zwei Personen? So wie es Doppelbetten gab? Doppelsarg und Doppelbett? Über jeden Quatsch standen lange Artikel in der Zeitung – aber derart essenzielle Dinge wurden nicht erwähnt.
Gertraud seufzte und putzte sich lautstark die Nase.
»Gut, dass du schon wach bist.« Nach einem resoluten Klopfen kam Tante Charlotte mit dem Schnurlostelefon ins Zimmer und reichte es ihrer Nichte. »Die Frau Kommissarin will dich sprechen.« Unmittelbar darauf beugte sie sich über das Gitterbettchen: »Ach, da ist ja mein kleines Prinzesschen! Na, wie haben wir denn geschlafen? Und Hunger haben wir auch schon wieder – und sicher brauchen wir auch ein sauberes Windelchen, oder? Na, dann komm mal zu deiner Tante.« Sie nahm das Kind auf.
Eulalia-Sophie strampelte ein wenig und sagte sehr deutlich: »Hallo, Lotti.«
»Ja, grüß Gott?«, meldete sich Gertraud währenddessen am Telefon. In ihr keimte die absurde Hoffnung, Günther wäre nur in ein Koma gefallen, alle Diagnosen und offensichtlichen Fakten wären falsch gewesen, und er wäre ganz plötzlich wieder aufgewacht. Im Moment seines Aufwachens hätte er ihren Namen geflüstert, und Frau Hausmann hatte allein deshalb angerufen, um ihr diese gute Nachricht zu überbringen.
»Hab ich Sie geweckt?«
»Nein, nein. Was gibt’s?« Gertraud hatte das Empfinden, ihre Stimme wäre über Nacht ganz schwach geworden.
»Ich wollt einfach mal schauen, wie es Ihnen geht.«
»Ich weiß nicht. Mein Leben ist so leer. Ich hab keine Ahnung, was ich tun soll.« Mit jedem Wort schien ihre Stimme weiter zu schrumpfen. Sie schniefte.
»Ja, ich verstehe Sie gut.« Franziska schwieg. Die Erinnerung an ihren ersten Mann, Jochen, tauchte auf. Er war während eines Routineeinsatzes erschossen worden. Sinnlos abgeknallt auf einer Autobahnraststätte. Sie hatten gerade die schlimmste ihrer Ehekrisen überwunden, seine Geliebte war wieder in die Arme ihres eigenen starken Mannes zurückgekehrt, und zu Hause standen gepackte Koffer: für eine Reise in den Neuanfang. Und dann war mit einem Schlag alles vorbei gewesen.
Damals hatte sie sich geschworen, sich nie wieder mit einem Kollegen einzulassen, ja, nie wieder einen anderen Menschen zu lieben. Es war zu gefährlich, und es tat zu weh. Monatelang hatte sie nur noch funktioniert und nichts gespürt, außer dass in ihr ein großes und dunkles Gespinst heranwuchs, das sie besetzte, sie bis in die Fingerspitzen hinein mit Dunkelheit füllte und für nichts anderes mehr Raum ließ.
»Ich wünsch mir so, dass er noch lebt«, sagte Gertraud ins Schweigen hinein. »Manchmal geschehen doch Wunder. Warum nicht auch bei mir? Sogar die Harbinger Agnes hab ich schon deswegen angerufen.«
Franziska schluckte. Es gab keinen Trost. Sie wusste es. »Frau Halber«, sagte sie dann. »Ich rufe auch an, weil ich gestern mit dem Bruder Ihres Verlobten gesprochen habe.«
»Ja?«
Die Kommissarin überlegte kurz. Wenn sie die richtigen Worte fand, wäre Gertraud ihre Ansprechpartnerin in Sachen Nachlass und Wohnung, und alles wäre um einiges einfacher, als mit Edwin Hellmann zu verhandeln. Sie gab sich einen Ruck. »Es ist so, Edwin Hellmann hat vorgeschlagen, die Bestattung und alle damit zusammenhängenden Formalitäten in Ihre Hände zu legen. Sie, so sagte er, würden Günther am besten kennen und daher am ehesten wissen, was im Sinne des Verstorbenen sei. Wissen Sie«, meinte sie dann und hielt kurz inne, »ich weiß aus eigener Erfahrung, dass auch das eine Form der Trauerarbeit sein kann, es kann helfen, diesen schweren Verlust zu begreifen. Ich weiß nicht, was Sie davon halten, aber ich dachte, ich unterbreite Ihnen einfach mal sein Angebot.«
»Ja, aber …« Gertraud verstummte.
»Es stimmt, das ist ein eigenartiger Vorschlag. Die Brüder standen sich wohl nicht sehr nahe. Herr Hellmann lässt Ihnen ausrichten, dass natürlich er alle Kosten trägt. Unabhängig davon bittet er Sie, auch den persönlichen Besitz seines Bruders durchzusehen. So können Sie die Dinge, die Ihnen wichtig sind, behalten. Alles andere soll weggegeben werden. An die Caritas oder an ein Unternehmen, das auf Wohnungsauflösungen spezialisiert ist. Davon stehen ja genug in den Kleinanzeigen vom Vilstalboten. Edwin Hellmann kann sich nicht darum kümmern. Er wäre Ihnen sehr verbunden.« Franziska
Weitere Kostenlose Bücher