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Selig sind die Dürstenden: Roman (Hanne Wilhelmsen-Reihe) (German Edition)

Selig sind die Dürstenden: Roman (Hanne Wilhelmsen-Reihe) (German Edition)

Titel: Selig sind die Dürstenden: Roman (Hanne Wilhelmsen-Reihe) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Holt
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»Und dann muß ich Ihnen folgendes einschärfen: Der Polizei müssen Sie die Wahrheit sagen. Falschaussagen sind strafbar. Sie sind nämlich Zeuge …« Sie lächelte und sah ihn an. »… und kein Angeklagter. Angeklagte können nach Herzenslust lügen. Mehr oder weniger jedenfalls. Ungerecht eigentlich, finden Sie nicht?«
    Er nickte heftig. Im Augenblick hätte er dieser Frau bei allem zugestimmt. Sie war beunruhigender, als sie aussah. Als er sie zum erstenmal gesehen hatte, am letzten Montag, hatte er sie als ziemlich attraktiv registriert. Groß und schlank, aber mit fülligen Hüften und runden Brüsten, fetzt kam sie ihm eher wie eine Amazone vor. Wieder fuhr er sich mit dem Finger über die Oberlippe, aber das half nichts. Er zog ein frischgebügeltes Taschentuch hervor und wischte sich die Schläfen.
    »Finden Sie es hier zu warm? Das tut mir leid. Dieses Haus ist für solche Temperaturen einfach nicht gedacht.«
    Sie machte keinerlei Anstalten, das Fenster zu öffnen.
    »Ach, übrigens«, sagte sie statt dessen. »Sie brauchen keine Aussage zu machen. Sie können verweigern. Aber das wollen Sie sicher nicht?«
    Er schüttelte so heftig den Kopf, daß er das Gefühl hatte, die Schweißtropfen flögen nur so durch die Gegend.
    »Schön«, sagte sie. »Dann mal los.«
    Eine halbe Stunde lang stellte die Polizeibeamtin völlig korrekte Fragen. Wann er am letzten Sonntag in die Wohnung seiner Tochter gekommen sei. Wo genau sie gesessen habe. Ob sie bekleidet gewesen sei. Ob er vielleicht irgendwelche Gegenstände aus der Wohnung entfernt habe. Ob ihm etwas Ungewöhnliches aufgefallen sei, Gerüche, Geräusche oder so etwas. Wie es seiner Tochter jetzt gehe, wie sie sich in den letzten Tagen verhalten habe. Und wie ihm selber zumute sei.
    Obwohl es ihm weh tat, über die Sache reden zu müssen, war er doch erleichtert. Seine Schultern entspannten sich etwas, das Zimmer kam ihm jetzt weniger beklemmend vor. Er trank sogar ein wenig Kaffee, als sie eine Pause einlegte, um seine Aussagen in die antiquierte Kugelkopfmaschine zu tippen.
    »Die ist ja nicht gerade up to date«, sagte er vorsichtig.
    Ohne innezuhalten und ohne ihn anzusehen, erzählte sie, daß sie demnächst einen Computer bekommen werde. Vielleicht nächste Woche. Vielleicht in einem Monat.
    Nach zwanzig Minuten war sie fertig und steckte sich wieder eine Zigarette an.
    »Was haben Sie gestern bei Kristines Nachbarn gemacht?«
    Es war unbegreiflich, daß er von dieser Frage dermaßen überrumpelt wurde. Er hatte doch gewußt, daß sie kommen mußte.
    Blitzschnell erwog er die Konsequenzen einer Lüge. Ein fünfzigjähriges Leben vorrangig auf der gesetzestreuen Seite der Gesellschaft siegte.
    »Ich wollte mich selbst ein wenig erkundigen«, gab er zu.
    Da. Jetzt hatte er es gesagt. Er hatte nicht gelogen. Das war ein gutes Gefühl. Ganz offensichtlich hatte sie mit einer Lüge gerechnet.
    »Sie wollen also den Privatdetektiv spielen?«
    Es klang durchaus nicht spöttisch. Ihr Wesen wirkte verändert. Ihr Gesicht wurde weicher, sie drehte ihren Stuhl zu ihm um und hatte für längere Zeit Blickkontakt zu ihm, zum erstenmal an diesem Morgen.
    »Hören Sie, Håverstad. Ich weiß natürlich nicht, wie Sie sich fühlen. Aber ich kann es mir vorstellen. So ungefähr wenigstens. Ich habe bis heute zweiundvierzig Vergewaltigungsfälle gehabt. Daran gewöhnt sich niemand. Und keine zwei Fälle sind gleich. Abgesehen davon, daß alle gleich schrecklich sind. Für die Opfer und für die, die ihnen nahestehen. Ich habe das immer wieder miterlebt.«
    Jetzt erhob sie sich und öffnete ein Fenster. Sie stellte einen häßlichen kleinen Aschenbecher aus braunem Glas in den Spalt, damit das Fenster nicht wieder zufallen konnte.
    »Ich habe oft … das müssen Sie mir glauben … oft überlegt, wie ich reagieren würde, wenn meine …« Sie unterbrach sich, »… wenn eine, die mir nahesteht, so etwas durchmachen müßte. Das sind natürlich nur Spekulationen, denn zum Glück ist mir das noch nicht passiert.« Ihre schmale Hand ballte sich zur Faust und schlug dreimal auf die Tischplatte. »Aber ich glaube, ich würde nur an Rache denken. Zuerst würde ich es wohl mit Zuwendung versuchen. Verzweiflung fordert unsere Unterstützung und unseren Trost heraus. Aber Sie brauchen mir nicht zu erzählen, daß Sie damit nicht durchkommen. Das weiß ich. Es ist schwer, Vergewaltigungsopfer zu erreichen. Und dann kommt man leicht auf Rachegedanken. Die Rache …«
    Sie

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