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Selig sind die Dürstenden: Roman (Hanne Wilhelmsen-Reihe) (German Edition)

Selig sind die Dürstenden: Roman (Hanne Wilhelmsen-Reihe) (German Edition)

Titel: Selig sind die Dürstenden: Roman (Hanne Wilhelmsen-Reihe) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Holt
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aufzuregen. Und dann kam der Kurde an die Reihe. Seine Nase war immer noch schief, sie hatte sicher nicht die beste Behandlung erfahren, die das norwegische Gesundheitswesen zu bieten hatte.
    Schließlich wurde noch ein Angestellter des Flüchtlingsheims befragt. Ein Norweger. Doch, die Prügelei habe er gesehen. Der Angeklagte sei auf den Geschädigten losgegangen. Sie hätten mehrmals aufeinander eingeschlagen, dann sei der Kurde nach einer Serie von beeindruckenden Uppercuts wie ein Sack zu Boden gegangen.
    »Haben Sie eingegriffen?« fragte der Verteidiger, als er mit der Zeugenbefragung an der Reihe war. »Haben Sie versucht, sich einzuschalten?«
    Der Norweger starrte verlegen seinen Zeugenstand an. Das hatte er eigentlich nicht. Solche Prügeleien zwischen Ausländern waren ihm ein wenig unheimlich. Dabei waren so oft Messer im Spiel. Er blickte die beiden Schöffen hilfesuchend an, erntete aber nur leere Blicke.
    »Haben Sie ein Messer gesehen?«
    »Nein.«
    »Gab es denn irgendeinen Grund, mit einem Messer zu rechnen?«
    »Ja, also, wie gesagt, das kommt so oft vor …«
    »Aber haben Sie in dieser Situation etwas gesehen?« fiel der Verteidiger ihm gereizt ins Wort. »Gab es einen Grund dafür, daß Sie bei dieser Schlägerei nicht eingegriffen haben?«
    »Nein, also …«
    »Danke, keine weiteren Fragen.«
    Die Verhandlung ging noch zwanzig Minuten weiter. Håkon Sand packte in der Gewißheit, daß auch diesmal ein Urteil gefällt werden würde, seine Papiere zusammen. Als er die geschrumpften Ordner in seinen Flugzeugkoffer schieben wollte, fiel ein rosa Umschlag auf den Boden. Es handelte sich um eine Hausmitteilung von einem Fahnder. Er hob den Umschlag auf und warf einen Blick darauf, ehe er ihn in den Koffer zurücklegte.
    Oben stand sein Name. Die Nachricht war mit der Hand geschrieben. Die Überschrift lautete: »Betr. FK 90   045   621, Shaei Thyed, Körperverletzung«.
    Und da begriff er. Die Nummern, die nach den Samstagsmassakern ins Blut geschrieben waren. Natürlich, das waren Nummern der Fremdenkontrolle. Alle Ausländer hatten so eine Nummer. Eine FK -Nummer.
    Auf seinem Schreibtisch stand eine prachtvolle Ausgabe der Göttin Gerechtigkeit. Sie wirkte dort ein wenig fehl am Platze, eine schöne und sicher schrecklich teure Bronzeskulptur in einem acht Quadratmeter kleinen und sehr öffentlichen Büro. Er legte Papierkügelchen in die beiden Waagschalen, die die Frau an der ausgestreckten Hand hielt. Sie hoben und senkten sich durch die winzigen Gewichte.
    Endlich kam Hanne Wilhelmsen. Sie stellte zufrieden fest, daß die neuen Gardinen aufgehängt waren.
    »Ich dachte, du wärst im Gericht«, sagte sie. »Heute morgen hat es so ausgesehen.«
    »Es hat anderthalb Stunden gedauert«, sagte er und bot ihr einen Platz an. »Ich habe die Lösung gefunden!«
    Håkon Sands Wangen waren rot, und das kam nicht von der Hitze.
    »Die Nummern, die nach den Samstagsmassakern ins Blut geschrieben sind, weißt du, worum es sich dabei handelt?«
    Hanne Wilhelmsen starrte Polizeiadjutant Håkon Sand zwanzig Sekunden lang an. Er schien vor Zufriedenheit fast zu platzen. Er war schrecklich enttäuscht, als sie antwortete: »Um FK -Nummern.«
    Sie sprang auf, ballte die Faust und schlug mehrmals gegen die Wand.
    »Natürlich! Was war nur mit uns los? Wir waten doch geradezu in diesen Nummern!«
    Håkon Sand konnte nicht fassen, daß es ihr eingefallen war, ehe er etwas gesagt hatte. Er sah so enttäuscht aus, daß sie ihm etwas Tröstliches sagen mußte.
    »Wir haben den Wald vor lauter Bäumen nicht gesehen. Ehrlich gesagt, ich habe überhaupt nicht weiter auf die Nummern geachtet. Bis heute. Genial, Håkon! Allein wäre ich nicht darauf gekommen. Heute jedenfalls nicht.«
    Håkon stellte keine weiteren Fragen und beschwichtigte seine verletzte Eitelkeit. Dann überlegten sie sich die Konsequenzen ihrer Entdeckung. Beide schwiegen.
    Vier Blutbäder. Vier unterschiedliche Nummern. Fremdenkontrolle-Nummern. Eine gefundene Leiche. Vermutlich eine Ausländerin. Eine mit Fremdenkontrolle-Nummer.
    »Vielleicht gibt es noch drei weitere«, sagte Håkon Sand schließlich. »Noch drei Leichen. Schlimmstenfalls.«
    Schlimmstenfalls. Hanne Wilhelmsen war ganz seiner Ansicht. Aber ein weiterer Aspekt des Falles machte ihr fast ebensolche Angst wie die Tatsache, daß irgendwo draußen noch drei Leichen verscharrt sein konnten.
    »Wer hat Zugang zu den Informationen über Asylbewerber, Håkon?« fragte sie leise,

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