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Selig sind die Dürstenden: Roman (Hanne Wilhelmsen-Reihe) (German Edition)

Selig sind die Dürstenden: Roman (Hanne Wilhelmsen-Reihe) (German Edition)

Titel: Selig sind die Dürstenden: Roman (Hanne Wilhelmsen-Reihe) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Holt
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Behauptung war. Wenn man es nicht ernst meinte. Für einen erstarrten düsteren Moment sah sie es ganz deutlich. Diesmal war es bitterer Ernst.
    Sie war entsetzt.
    Hanne Wilhelmsen wartete schon seit über zehn Minuten auf sie. An ihr Motorrad gelehnt, blickte sie ungeduldig alle zwei Minuten auf die Uhr. Als die anderen endlich das renovierte graue Mietshaus erreichten, hatte der Himmel eine dunkelblaue Farbe angenommen, fast Indigo, die verriet, daß der nächste Tag mindestens ebenso strahlend ausfallen würde.
    »Schaut mal«, sagte sie, als Kaldbakken und Håkon Sand endlich ihren zivilen Dienstwagen in eine kleine Parklücke bugsiert hatten und auf sie zukamen. Sie wartete ungeduldig an der Haustür. »Seht euch den Namen da an.« Sie zeigte auf die Klingel, die kein ordentlich angebrachtes Namensschild aufwies, sondern nur einen aufs Glas geklebten Zettel. »Asylbewerberin. Mutterseelenallein.«
    Sie klingelte. Keine Reaktion. Sie schellte ein zweites Mal. Noch immer keine Reaktion. Kaldbakken räusperte sich ungeduldig und konnte nicht begreifen, warum er so spät am Abend zu dieser Fahrt genötigt worden war. Wenn Hanne Wilhelmsen in diesem Fall eine wichtige Mitteilung hatte, hätte sie diese sehr wohl auch im Büro Vorbringen können.
    Noch einmal hörten sie es in der Ferne klingeln, ohne daß etwas geschah. Hanne Wilhelmsen trat auf eine kleine Rasenfläche zwischen Hauswand und Straße, stellte sich auf die Zehen und erreichte das dunkle Fenster gerade eben. Drinnen war keine Bewegung zu registrieren. Sie gab auf und bedeutete den anderen, sie sollten sich wieder ins Auto setzen.
    Dort steckte Kaldbakken sich eine Zigarette an und wartete ungeduldig auf eine Erklärung. Hanne Wilhelmsen schlüpfte auf den Rücksitz, beugte sich zu den beiden Männern vor, stützte auf jede Rücklehne einen Ellbogen und legte den Kopf auf ihre verschränkten Hände.
    »Was soll das eigentlich bedeuten, Wilhelmsen?« fragte Kaldbakken mit unbeschreiblich müder Stimme.
    »Das erkläre ich alles später«, sagte sie. »Morgen vielleicht. Ja, morgen ganz bestimmt.«
    Er wußte, wer am Samstag an die Reihe kommen würde. Heute hatte er seinen Entschluß gefaßt. Sie behauptete, aus Afghanistan zu sein, aber natürlich log sie. Pakistanerin, glaubte er. Aber hübscher als der Durchschnitt.
    Er legte sich ins Bett. Nicht auf die Seite des großen Doppelbettes, sondern in die Mitte, so daß er am Rückgrat die Matratzennaht spürte. Die Decken lagen auf dem Boden, und er war nackt. In den Händen hielt er Hanteln, die er gleichmäßig und langsam so weit wie möglich voneinander entfernte, um sie dann mit ausgestreckten Armen über seinem schweißnassen Brustkasten mit einem Klicken wieder zusammenstoßen zu lassen.
    Einundneunzig, atmen. Zweiundneunzig, atmen.
    Er fühlte sich glücklich wie seit langem nicht. Leicht, frei, kraftvoll.
    Er wußte genau, wen er jetzt wollte. Er wußte genau, wie er es machen würde. Und er wußte sehr genau, was er tun würde.
    Er erreichte die Hundert und setzte sich auf. Ein riesiger Spiegel an der Wand gegenüber zeigte ihm genau das, was er sehen wollte. Dann ging er ins Badezimmer.
    Nach Hause zu fahren schien aus irgendeinem Grund nicht verlockend. Hanne Wilhelmsen saß auf einer Bank vor dem Polizeigebäude und dachte über das Leben nach. Sie war erschöpft, aber nicht schläfrig. Vor einer Weile war ihr völlig klar gewesen, daß zwischen den Samstagsmassakern und der Vergewaltigung der hübschen jungen Medizinstudentin ein Zusammenhang bestand. Jetzt war nichts mehr klar.
    Das quälende Gefühl, nicht von der Stelle zu kommen, überwältigte sie. Sie arbeiteten und planten, dirigierten ihre Truppen hin und her und kamen sich in vieler Hinsicht effektiv vor. Aber dabei kam so wenig heraus. Die Ermittlungen verliefen so technisch. Sie suchten nach Haaren, Fasern und anderen konkreten Spuren. Jeder kleinste Speicheltropfen wurde untersucht, und die Fachleute hielten ihnen unbegreifliche Vorträge über DNS -Strukturen und Blutgruppen. Natürlich mußte das so sein. Aber es war alles andere als genug. Der Samstagsmann war nicht normal. In seinem Vorgehen lag Vernunft, eine Art absurder Logik. Er hielt sich an einen festen Wochentag. Wenn ihre Hypothese stimmte, dann waren irgendwo da draußen drei weitere Ausländerinnen vergraben. Und obendrein war der Mann ziemlich clever. Er hatte sie ja selbst auf seine Fährte gelenkt, indem er ihnen mitteilte, wer seine Opfer waren.
    Hanne Wilhelmsen

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