Selig sind die Dürstenden: Roman (Hanne Wilhelmsen-Reihe) (German Edition)
vor dem man sich niemals schützen konnte; etwas, das die Menschen nur ab und zu heimsuchte, traurig, aber ganz und gar unvermeidlich und außerhalb jeglicher Kontrolle.
Das war jetzt nicht mehr so. Er war ein Mann. Ein Mensch, der sich entschieden hatte. Der sich für ihr Leben entschieden hatte. Nichts hatte ihn dazu gezwungen. Er hätte sich entscheiden können, es nicht zu tun, er hätte sich eine andere aussuchen können. Aber er hatte sie genommen. Mit offenen Augen, wissentlich und willentlich.
Das Telefon stand an derselben Stelle wie immer, auf einem Nachttisch aus Kiefernholz, neben einem Wecker und einem Krimi. In einem Regalfach knapp über dem Fußboden lag das Telefonbuch. Sie hatte die Nummer rasch gefunden und tippte die acht Ziffern ein. Und dann hatte sie eine freundliche Frau an der Strippe.
»Guten Tag, ich heiße … Sunniva Kristoffersen ist mein Name«, fing sie an. »Ich war heute im Hauptbahnhof. Und da hatte ich ein kleines Problem, und einer von euren Angestellten hat mir so rührend geholfen. Das war um halb elf. Ein großer Bursche mit sehr breiten Schultern, blond, ein wenig schüttere Haare. Ich möchte mich so gern bei ihm bedanken, aber ich habe nicht daran gedacht, ihn nach seinem Namen zu fragen. Ob Sie mir wohl helfen könnten?«
Das war überhaupt kein Problem. Die Frau nannte einen Namen und fragte, ob sie etwas ausrichten solle.
»Nein danke«, sagte Kristine Håverstad schnell. »Ich glaube, ich schicke ihm einen Blumenstrauß.«
Finn Håverstad war vor einigen Jahren auf einem Fest einem Reporter von den Fernsehnachrichten begegnet. Ein bekannter Mann; er war für seine Jagd auf einen Reeder, der staatliche Mittel veruntreut hatte, mit einem Preis belohnt worden. Der Mann war sympathisch gewesen, und der Zahnarzt hatte das Gespräch mit ihm interessant gefunden. Bis dahin hatte er so eine vage Vorstellung gehabt, daß ermittelnder Journalismus aus geheimen Treffen mit suspekten Quellen zu merkwürdigen Tageszeiten bestand. Der freundliche Reporter hatte gegrinst, als er ihn neugierig gefragt hatte, ob das wirklich der Fall sei.
»Das Telefon! Meine Arbeit besteht zu neunzig Prozent aus Telefongesprächen !«
Jetzt konnte er das nachvollziehen. Es war unglaublich, was sich mit Beils genialer Erfindung alles ausrichten ließ. Auf seinem Block hatte er die Namen von sechs Wagenbesitzern notiert, die in der Nacht vom 29. zum 30. Mai in dem kleinen Straßenende in Homansbyen geparkt hatten.
Vier davon waren Frauen. Das brauchte nichts zu bedeuten. Ein Mann, ein Sohn oder auch ein Autodieb konnte mit dem Fahrzeug unterwegs gewesen sein. Aber fürs erste legte er sie beiseite. Es fehlte nur noch ein Wagen. Er wählte die Nummer der Hauptwache von Romerike und sagte seinen Spruch auf.
»Stellen Sie sich vor, so ein unverschämter Mensch!« sagte er empört zu einem abweisenden Polizisten am anderen Ende der Leitung. »Vor ein paar Tagen habe ich am Bahnhof geparkt, und als ich zurückkam, hatte der Wagen eine Beule und einen langen Kratzer im Lack. Zum Glück hat sich eine junge Dame das Autokennzeichen notiert. Dieses Schwein hat natürlich keinen Zettel für mich hinterlassen. Können Sie mir weiterhelfen?«
Der Polizist hatte offenbar Verständnis, sagte: »Momentchen«, und konnte zwei Minuten später den Wagentyp, den Besitzer und dessen Adresse nennen. Finn Håverstad bedankte sich überschwenglich.
Jetzt hatte er alle. Die Geschichte mit der Beule hatte sich als die praktischste erwiesen. Er hatte sieben verschiedene Wachen angerufen, weil er kein Aufsehen erregen wollte. Von sieben Autos angefahren worden zu sein wäre doch zu stark gewesen.
Das einzige Problem war, daß die Polizei die Farbe der Autos nicht registriert hatte. Und er mußte wohl auch die Adressen noch einmal überprüfen, denn die Leute konnten ja umgezogen sein, nachdem sie ihre Autos angemeldet hatten. Sicherheitshalber rief er deshalb beim Einwohnermeldeamt an. Und das dauerte elend lange.
Aber es lag wirklich alles vor. Beim Einwohnermeldeamt erfuhr er sogar die Geburtsdaten, an die er überhaupt noch nicht gedacht hatte.
Vier Autos gehörten Frauen. Er ließ sie weiterhin beiseite. Ein Mann war Jahrgang 1926. Zu alt. Natürlich konnte er einen Sohn im passenden Alter haben, aber auch er wurde fürs erste beiseite gelegt. Blieben noch zwei. Beide wohnten in der Nähe von Oslo. Einer in Bærum, der andere in Lambertseter.
Auch jetzt empfand er im Grunde keine Freude. Ganz im Gegenteil. Er
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