Selig sind die Dürstenden: Roman (Hanne Wilhelmsen-Reihe) (German Edition)
zu Kristines Haus geschickt. Sie sollen noch einmal alle Nachbarn befragen, und zwar gründlicher.«
Beide starrten sie den nassen Fleck, den Erik auf dem Boden hinterlassen hatte, ein wenig bedrückt an.
»Das ist schon peinlich. Ich hätte beim ersten Mal gründlicher sein müssen.«
Sie hatte recht. Aber der Abteilungschef wußte genau, warum sie das nicht gewesen war. Er rieb sich das Gesicht und schniefte.
»Verdammt, bei diesem Wetterumschwung werden wir uns bestimmt alle erkälten. Das hat uns gerade noch gefehlt. Eine Grippeepidemie.«
Er seufzte tief und schniefte noch einmal, und dann begriff er, daß Hanne Wilhelmsen noch immer bedrückt war wegen der kläglichen Leistung, die sie in der vergangenen Woche in diesem Vergewaltigungsfall erbracht hatte. Als sie noch Zeit gehabt hätten. Vielleicht sogar Zeit genug, um das Blutbad vom letzten Samstag zu verhindern.
»Aber Hanne«, sagte er freundlich und zog seinen Stuhl näher an ihren heran. »Es war eine Vergewaltigung. Eine scheußliche, aber leider ziemlich normale Vergewaltigung. Was hättest du denn machen sollen? Wo wir dermaßen überlastet sind? Wenn deine Theorie stimmt und hinter den Samstagsmassakern und dieser Vergewaltigung ein und der selbe Mann steckt – und ich glaube, daß sie stimmt –, dann wissen wir das erst jetzt. Vor einer Woche haben wir das noch nicht gewußt.« Er unterbrach sich, schnappte geräuschvoll nach Luft und nieste heftig. »Weißt du, wie viele wir hier sein müßten, um bei jeder Vergewaltigung ordnungsgemäß zu ermitteln?«
Hanne schüttelte den Kopf.
»Ich auch nicht.« Wieder schniefte er. »Aber so ist das Leben. Wir haben zuwenig Leute. Vergewaltigung ist ein schwieriges Verbrechen. Wir können damit nicht zu viel Zeit zubringen. Leider.«
Sein Bedauern war ehrlich, das wußte Hanne. Aber der Abteilungschef hätte seinen Job nicht gehabt, wenn er nicht ein äußerst flexibler und pragmatischer Charakter gewesen wäre. Vergewaltigungen waren schwer zu beweisen, und die Polizei sollte Beweise liefern. So war das.
»Macht ihr noch etwas anderes, als mit den Nachbarn zu reden?«
»Na ja, ich setze die Gerichtsmedizin unter Druck. Es hilft zwar nicht viel, egal, was die vielleicht noch finden. Aber es wäre nett, die Beweise bereitliegen zu haben, falls wir einen Täter finden. Falls wir über einen stolpern.«
Ein müdes Lächeln begleitete den letzten Satz. »Außerdem sind wir noch immer auf der Jagd nach der Iranerin. Ihr Verschwinden gefällt mir überhaupt nicht. Ich sehe einfach keinen Grund dafür. Entweder fürchtet sie sich, und dann wüßte ich sehr gern, wovor beziehungsweise vor wem. Oder sie folgt vielleicht dem Beispiel ihrer asiatischen Kolleginnen und liegt irgendwo im Dreck.«
Der Abteilungschef klopfte auf den Tisch.
»Na, wenn sie noch im Lande und nicht tot ist …« Sicherheitshalber klopfte er gleich noch einmal auf den Schreibtisch. »… dann taucht sie auf. Früher oder später.«
»Laß uns hoffen, daß sie früher auftaucht«, sagte Hanne Wilhelmsen. »Übrigens: Soll ich dir mal was zu diesem Wetter sagen? Ich finde es langsam ganz schön unheimlich.«
»Im Laufe des Abends soll es sich angeblich ein bißchen aufklären. Aber es wird noch eine Weile weitergießen, sagen die Meteorologischen. Aber … Gott weiß.«
Er erhob sich schwerfällig.
»Halt mich auf dem laufenden. Ich bin den ganzen Nachmittag über hier.«
»Me too«, sagte Hanne Wilhelmsen.
»Übrigens …«
In der Tür fuhr er herum.
»Beerdigung am Montag. Du kommst doch.«
»Ja. Wenn der Erdball sich am Montag noch dreht, dann ja.«
Das Wetter machte ihr natürlich einen dicken Strich durch die Rechnung. Sie hatten auf der Aker Brygge anfangen und dann die ganze Innenstadt abgrasen wollen. Davon konnte keine Rede sein. Sie konnten allenfalls innig bezweifeln, ob es überhaupt noch eine Aker Brygge gab.
»Schwachsinnig geiles Wetter«, sagte Terje begeistert. »Wir gehen baden.«
Dieser Vorschlag wurde nicht einmal kommentiert. Aber wenn der Regen die ursprünglichen Pläne auch sabotierte, so ließ sich doch eine Bande Studis im besten Alter nicht das ersehnte Fest vermiesen.
»Ich habe einen Vorschlag«, sagte Kristine, die den anderen noch immer ziemlich grippegeschädigt vorkam. »Zu Hause habe ich jede Menge zu trinken. Ich wohne im Moment bei meinem Vater.« Sie dachte blitzschnell nach. »Mir ging es so schlecht. Da hatte ich’s bei ihm einfach besser. Wir könnten zu dir gehen, Cathrine,
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