Selig sind die Dürstenden: Roman (Hanne Wilhelmsen-Reihe) (German Edition)
Kopf schräg und hielt sich die Hand hinters Ohr. Das mußte doch international genug wirken.
Sie wiederholte ihren Namen, diesmal etwas deutlicher. Das brachte auch nicht viel, er verstand einfach nichts. Fieberhaft hielt er auf dem Tisch Ausschau nach etwas zum Schreiben. Am Tischende lag ein Stück Butterbrotpapier unter einem Käsebrotfragment. Er schnappte sich das Papier und achtete nicht darauf, daß der Brotrest auf den Boden fiel. Dann klopfte er sich auf die Brusttasche und fand einen Kugelschreiber. Beides legte er vor die Frau hin. Zögernd nahm sie den Stift und schrieb ihren Namen, oder jedenfalls etwas, das aussah wie ein Name, auf das Butterbrotpapier.
»Kannst du überhaupt Norwegisch?«
Jetzt faßte sie Mut genug, um zu nicken.
»Wie lange bist du schon hier?«
»Weiß nicht.«
Das war das erste, was sie, abgesehen von ihrem Namen, seit anderthalb Tagen gesagt hatte. Der Polizist fluchte leise und setzte schließlich Himmel und Hölle in Bewegung, um etwas über diese Frau in Erfahrung zu bringen.
Finn Håverstad hatte es nicht eilig.
Der Wetterumschwung war ihm zuerst als unerwartetes Hindernis erschienen. Jetzt entpuppte er sich als Segen. Alle blieben zu Hause. Auch der Vergewaltiger. Håverstad war gegen elf Uhr beim Reihenhaus in Bærum angekommen und hatte drinnen Licht und Bewegung gesehen. Bei dieser Entdeckung hatte er eine Mischung aus inniger Erleichterung und verwirrender Angst empfunden. Im tiefsten Innern hatte er gehofft, der Mann sei nicht da, sei verreist oder habe vielleicht Besuch. Logiergäste. Und dann hätte er sein Vorhaben aufschieben müssen. Für eine Weile.
Doch die Erleichterung überwog.
Der Regen fiel noch immer gleichmäßig, wenn auch nicht mehr ganz so sintflutartig wie zuvor. Es wirkte verlockend, im Auto sitzen zu bleiben. Aber er hatte Angst, gesehen zu werden. Und die letzten Tage hatten ihm klargemacht, daß es alles andere als klug war, den eigenen Wagen in Tatortnähe stehenzulassen. Er hatte zwar noch immer nicht vor, mit seinem Verbrechen durchzukommen, aber er wollte danach Zeit haben. Um sich zu beruhigen. Ein paar Stunden, einen Tag oder zwei. Vielleicht sogar eine Woche. Er wußte es noch nicht, wollte das aber selbst entscheiden können.
Deshalb begnügte er sich damit, einige Minuten bei laufendem Motor zu halten, bis er sich überzeugt hatte, daß der Vergewaltiger zu Hause war. Dann ließ er den Wagen über zwei Geschwindigkeitsdämpfer und um eine Ecke rumpeln. Auf der linken Straßenseite erstreckten sich über hundert Meter dreistöckige Reihenhäuser. Auf einem großen Parkplatz standen die Zweitwagen, die in der Tiefgarage keinen Platz fanden. Er stellte seinen BMW zwischen einer alten Honda und einem feschen neuen Opel Corsa ab. Der BMW schien sich über diese Gesellschaft zu freuen.
Die Glock war einsatzbereit. Er hatte sie in den Hosenbund geschoben, eher aus Mangel an einem besseren Aufbewahrungsort, als weil das sinnvoll gewesen wäre. Es war vielmehr unbequem. Aber immerhin trocken.
Er ging die zweihundert Meter zurück zu Fuß. Am Ende der Straße, die zum Haus des Verbrechers führte, blieb er stehen. Hinter den Reihenhäusern lag eine Art Platz mit einigen Spielgeräten und Bänken. Von der anderen Seite war diese Fläche nicht zu sehen gewesen; er zählte zehn zusammenhängende Häuser, die die Sicht versperrten. Etwa zwanzig bis dreißig Meter entfernt von den Häusern erhob sich hinter dem Platz eine ziemlich steile Felskuppe, die den Platz vermutlich in tiefe Finsternis tauchte, auch an lichteren Tagen als diesem. Einen Moment lang spielte Finn Håverstad mit dem Gedanken, seine Pläne zu ändern und es lieber von dieser Seite aus zu versuchen. Hier war er weder von den Einfamilienhäusern weiter unten an der Straße noch von der Straße aus besonders gut zu erkennen. Andererseits würde ein Fremder auf der Straße sicher weitaus weniger Aufsehen erregen. Falls überhaupt.
Er mußte sich an seinen ursprünglichen Plan halten. Also zog er sich die Kapuze seines Regenmantels über den Kopf und versuchte, so normal wie möglich auf das fünfte Haus in der Reihe zuzugehen. Dort blieb er für einen Moment stehen. Es war jetzt halb eins, und kein Mensch war zu sehen. Die meisten Fenster waren dunkel. Er schlüpfte zwischen zwei Hecken, die an dieser Stelle aneinanderstießen, nur acht Meter vom Haus des Vergewaltigers entfernt.
Dort blieb Finn Håverstad sitzen und wartete.
Terje hatte sich nicht zweimal bitten lassen. Er
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