Selig sind die Dürstenden: Roman (Hanne Wilhelmsen-Reihe) (German Edition)
hätte es sonst sicher auch selbst vorgeschlagen. Hingerissen und sternhagelvoll stolperte er in das Taxi, das Kristine nach vierzig genervten Minuten am Telefon endlich ergattert hatte. Er sollte mit zu ihr nach Hause kommen. Mitten in der Nacht. Das konnte natürlich nur eins bedeuten, und die Erwartung hielt ihn fast die ganze Fahrt über wach. Aber nur fast. Als sie vor Kristine Håverstads Vaterhaus in Volvat hielten, machte es ihr arge Mühe, den Jungen ins Leben zu rütteln. Schließlich mußte der Taxifahrer ihr helfen, ihn zur Haustür zu bugsieren. Der Fahrer war stocksauer, als er im triefenden Regen sein Auto verlassen mußte, vor allem, weil der Hof zum reinen Schlammloch geworden war. Leise fluchend ließ er den Jungen ins Haus fallen.
»An dem wirst du heute nacht nicht mehr viel Freude haben«, sagte er gereizt, wurde aber angesichts der fünfzig Kronen Trinkgeld etwas umgänglicher.
»Viel Glück«, murmelte er mit der Andeutung eines Lächelns.
Sie hatte nicht vorgehabt, ihn derartig zuzudröhnen. Sie brauchte fast fünf Minuten, um den Knaben die acht Meter zu ihrem Zimmer zu zerren, zu schleifen, zu tragen. Daß sie ihren Vater nicht wecken durfte, machte die Sache natürlich auch nicht leichter.
Das Bett war schmal, aber es hatte schon andere Männer beherbergt. Terje kämpfte verbissen darum, zu dieser vermutlich größten Stunde seines Lebens zu erwachen. Aber als Kristine ihn ausgezogen und in einem wunderbaren Bett zurechtgelegt hatte, gab es keine Hoffnung mehr. Er schnarchte. Es schien ihn nicht weiter zu stören, daß sie ihm die Decke wegzog und ihn umdrehte, so daß sich ein schmaler behaarter Hintern ihrer Spritze darbot. Die Spritze hatte unter dem Bett bereitgelegen. Da Terje betrunkener war, als sie kalkuliert hatte, ließ sie den Kolben nur einige Milliliter aus der Spritze drücken. Neunzig mußten reichen. Neunzig Milliliter Nozinan. Beim Blauen Kreuz gingen sie bisweilen auf dreihundert hoch, um den streitsüchtigeren Säufern ab und zu ein paar Stunden Schlaf zu bescheren, wenn die tagelang auf der Rolle gewesen waren und kaum noch wußten, was »schlafen« für eine Tätigkeit war. Aber Terje war alles andere als ein Alkoholiker, auch wenn er jetzt mehr als zwei Promille Äthanol in den Adern haben mußte. Und er war so weit weggetreten, daß sie sich für einen Moment fragte, ob er die Spritze wirklich brauchen würde, um die ganze Nacht durchzuschlafen. Der Zweifel überlebte nicht lange. Resolut drückte sie die Nadel in die linke Hinterbacke des Jungen, der keinerlei Reaktion zeigte. Langsam injizierte sie die Flüssigkeit in den Muskel. Als der Kolben unten angekommen war, zog sie die Nadel behutsam heraus und preßte ziemlich lange einen Wattebausch auf die Einstichstelle. Dann richtete sie sich vorsichtig auf. Es war sehr gut gelaufen. Wenn Terje am nächsten Vormittag neben ihr erwachte, würde er unter einem Mordskater leiden. Er würde ihr nicht widersprechen, wenn sie sich für eine wunderschöne Nacht bedankte. Als Junge im besten Alter und mit begrenzterer Erfahrung, als er jemals zugegeben hätte, würde er sich ein wenig wundem, sich die Sache gründlich überlegen und sich schließlich eine schöne, egostimulierende Geschichte darüber zurechtlegen, wie schön es doch gewesen sei.
Kristine Håverstad hatte ihr unbeholfenes Alibi arrangiert. Ihre Jacke war naß, und sie schauderte leicht, als sie sie wieder anzog. Ihr Wagen stand beleidigt und naß hinten auf dem Hof, so weit vom Haus entfernt, daß sie niemanden aufwecken würde. Wie zum Dank dafür, daß sie es am Vortag nicht für nötig gehalten hatte, das Auto in die Garage zu fahren, wollte es jetzt nicht anspringen.
Sie bekam dieses Drecksauto einfach nicht in Gang!
Hanne Wilhelmsen versuchte zu schlafen. Das war nicht leicht. Das Unwetter hatte zwar etwas nachgelassen, aber der Regen peitschte noch immer gegen das Schlafzimmerfenster, und bei jedem heftigen Windstoß heulte es im Schornstein. Und ihr ging viel zuviel durch den Kopf.
Das Ganze war hoffnungslos. Sie war so müde, daß sie sich einfach nicht mehr konzentrieren konnte. Die Berichte lagen halb gelesen auf dem Wohnzimmertisch. Einzuschlafen war aber auch restlos unmöglich. Alle zwei Minuten wechselte sie die Stellung in der Hoffnung, eine zu finden, in der ihre Muskeln sich entspannen könnten und ihr Gehirn aufhören würde, mit Gedanken zu jonglieren. Cecilie murmelte jedesmal unzufrieden vor sich hin.
Schließlich gab sie auf. Es
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