Selige Witwen
hatte recht, die drei anderen Bilder konnten mit dem Matisse nicht mithalten.
Aber hätte ich die Odaliske nicht zuerst in die Finger bekommen, wäre ich auch von ihnen hellauf begeistert gewesen.
Es handelte sich um eine Skizze von Feuerbach, ein Landschaftsbild eines mir unbekannten alpenländischen Künstlers und um eine Radierung von Heinrich Vogeler.
Obwohl die Bilder unterschiedlich groß waren, hatte man sie durch die lieblose Rahmung in ein Einheitsformat gepreßt.
»Wenn es sich um Originale handelt, dann sind sie ein Vermögen wert«, sagte ich, »aber unveräußerlich. Wie hat sich denn der clevere Erik den Verkauf vorgestellt?«
»Überall auf der Welt verschwinden Museumsstücke, denn es gibt auch für unverkäufliche Ware einen Markt«, behauptete Kathrin. »Außerdem haben wir es hier nicht mit der Mona Lisa zu tun. Aber am liebsten würde ich meine Bilder behalten und ohne schlechtes Gewissen zur Schau stellen können.«
Nachdenklich saß sie im Schneidersitz auf ihrem Futon.
Inzwischen war es Mittag und ziemlich heiß in der Wohnung, wir hatten die Rollos heruntergelassen. Könnte ich malen wie Matisse oder wenigstens wie Cora, dann hätte ich sofort eine Skizze von meiner wunderlichen Mitbewohnerin angefertigt. Den Hintergrund zur Rechten bildete die cremefarbene Orchideenlandschaft auf dem Fensterbrett, zur Linken hingen die dunkelroten Tücher aus Pakistan.
Die schnurrbärtige Kathrin wirkte in diesem Ambiente wie eine kleine Sphinx.
Plötzlich faßte sie ihre Gedanken in Worte. »Ich sagte gerade, daß ich die Bilder am liebsten behalten würde - aber das kommt ja wohl nicht in Frage. Kunstgegenstände, die gewissermaßen der Allgemeinheit gehören, müssen ins Museum zurück.«
Bei diesen Worten sah sie mich prüfend an, und ich versuchte sofort, ihren Edelmut ein wenig zu dämpfen: »Im Museum ist gar nicht genug Platz, um alles auszustellen.
Das meiste lagert in Archiven und Depots, und kein Mensch kriegt es je zu Gesicht.«
Als mich erneut ein abwägender Blick traf, baute ich ihr eine Brücke. Als Kompromiß zwischen Moral und Eigennutz könne sie die Bilder ja der Versicherung gegen einen Finderlohn anbieten. Obwohl Kathrin wahrscheinlich bereits in diesem Sinne geplant hatte, meinte sie doch, daß die Ehefrau des unrechtmäßigen Besitzers wohl kaum die geforderte Summe erhalte. Eine neutrale Vermittlerin müsse her. »Du bist doch auch ziemlich pleite«, sagte sie.
Darauf mußte ich erst mal eine rauchen. Meine bisherigen kriminellen Taten waren eine Nummer kleiner gewesen.
»Was wird Erik dazu sagen, wenn die Bilder nicht mehr an ihrem Platz hängen?«
»Gute Frage«, sagte sie fahrig, »gib mir auch eine Zigarette!« Sie zwickte den Filter ab.
Qualmend belehrte mich Kathrin, daß Kunstkriminalität nach dem illegalen Drogengeschäft noch vor dem Waffenhandel weltweit an zweiter Stelle stehe.
Allein mit Fälschungen würde alljährlich ein gigantisches Vermögen verdient; 40 bis 60 Prozent aller gehandelten Bilder von verstorbenen Künstlern seien Fakes. Die Kundschaft sei so leicht zu betrügen! Wer viel Geld für einen Kunstgegenstand ausgebe, wolle gar nicht so genau wissen, ob man ihn nicht nach Strich und Faden betrogen habe. »Da kaufen die Leute im Urlaub eine signierte und numerierte Lithographie von Picasso und blättern stolz ein paar Tausender dafür hin. Dabei kann man fototechnische Reproduktionen im Poster- oder Copyshop für zwei Nullen weniger erhalten. Und das sind nur die kleinsten Fische.«
»Darüber weißt du zwar Bescheid«, staunte ich, »aber es war unüberlegt, daß wir Kleider, Schmuck und Fotos mitgenommen haben. Nun ist doch sofort klar, daß du die Diebin bist! Andernfalls hätte Erik denken können, daß die Einbrecher Profis waren. Wir sollten noch einmal hinfahren und falsche Spuren legen, falls es nicht schon zu spät dafür ist.«
Jetzt war Kathrin beeindruckt. »Du redest ja selbst wie ein Profi! Wenn ich nicht so viel Angst hätte, würde ich sofort starten. Aber das Ganze noch mal von vorn - das steh' ich kaum durch!«
Ich sah auf die Uhr: Unser Fischzug war noch keine zwei Stunden her; es konnte gut sein, daß ihr Mann bisher nicht zu Hause gewesen war und nichts von unserer Visite ahnte.
Ich rief ein weiteres Mal bei ihm an und hörte wieder Eriks wohlklingende Stimme auf dem Anrufbeantworter.
Meine wild entschlossene Miene bewirkte wohl, daß Kathrin nun endlich begriff. Ohne um ihre Kleider und den Schmuck zu trauern, packte
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