Sellavie ist kein Gemüse
Flug
über den Rand der Welt
Der Maler
„Ach, Sie sind Kunstmaler“, sagt sie, und damit weiß ich schon, wie unser Gespräch verlaufen wird. Jemand, der das Wort Kunstmaler verwendet, verlangt, daß man auf den Bildern was erkennen kann. Dafür ist er aber auch bereit, etwas längere Haare, Rollkragenpullis und schlabberige Cordanzüge durchgehen zu lassen. Unter „etwas erkennen“ versteht ein Mensch, der Kunstmaler sagt, übrigens gleich inklusive, daß es „schön“ gemalt ist, daß es etwas „Schönes“ ist. Eine verwesende Leiche findet so jemand keine Kunst, obwohl oder in diesem Falle sogar vielleicht weil er es erkennen kann.
„Was malen Sie denn für eine Richtung?“, fragt sie und ich weiß, daß ihr innerer Katalog nur die Möglichkeiten Impressionismus, Expressionismus, Realismus, Surrealismus und Naturalismus zur Auswahl stellt.
„Ungegenständlich“, sage ich und weiß, daß sie jetzt denkt, er malt abstrakt, also Grimassen wie Picasso.
„Ach abstrakt?“, sagt sie merklich kühler und ich antworte: „Nein, ungegenständlich. Ich abstrahiere von nichts, ich verschlüssele nichts, ich deformiere nicht, sondern forme Eigenes.“
„Ja, dann mehr so Farbkompositionen also.“
Jetzt weiß ich, daß ich völlig unten durch bin, denn Farbkomposition ist das Wort für sinnloses Geschmier, dem man allenfalls aus pädagogischen Gründen zuzustimmen hat, wenn es der Sohn aus dem Kindergarten mitbringt. Dann ist der Kindergarten allerdings recht progressiv.
Sie schaut sich schon unauffällig nach neuen Gesprächspartnern um, das registriere ich mit Wohlgefallen, aber noch ist keine Erlösung in Sicht, also fragt sie notgedrungen weiter: „Ja, und was wollen Sie dann mit so einem Bild sagen?“
„Sagen will ich nichts, denn dann müßte ich schreiben. Die Malerei stellt dar und her, das Erzählen und Erklären ist ihr als Aufgabe abgenommen worden.“
Sie schaut sich wieder um, ich weiß, bald habe ich sie soweit, daß sie die finale Fluchtfrage stellt. Ob ich denn davon leben könne. Aber noch fehlen zwei, drei unverzichtbare Punkte.
„Haben Sie das studiert?“
Das war Nummer eins und ich glaube, wir haben es jetzt gleich.
„Ja“, sage ich, und jetzt läuft das Programm fehlerfrei.
„Dann könnten Sie also auch was Richtiges abmalen. Eine Katze oder Blumen?“
„Ja.“
Den Blick auf meine rechte Hand hat sie schon lang hinter sich, deshalb ist die nächste Frage auch schon überfällig:
„Was macht Ihre Frau?“
„Sie ist Psychologin“, sage ich und tue meiner Frau damit einen Gefallen, denn ich weiß, sie wird von diesem Gast unbehelligt bleiben. Leute, die das Wort Kunstmaler verwenden, sind immer auch Leute, die vor Psychologen Angst haben. Sie denken, ein Psychologe ist so ein guter Menschenkenner , daß er ihnen nur in die Augen blicken muß, um sofort zu wissen, ob sie ihre Kinder schlagen oder die zweite Frau ihres Vaters ums Erbe betrogen haben . Außerdem hat der Psychologe so viel mit Irren zu tun, daß er vermutlich selber nicht mehr ganz richtig im Kopf ist. Meine Frau ist also aus dem Schneider. Jetzt kommt auch endlich die finale Fluchtfrage, mit der meine statusmäßige Satisfaktionsfähigkeit eruiert wird.
„Können Sie davon leben?“
„Ja, ganz gut“, sage ich, denn mit dieser Klappe schlage ich zwei Fliegen. Fliege Nummer eins ist, daß die Dame jetzt was zu erzählen hat, denn wenn einer davon leben kann, obwohl man nichts darauf erkennt, dann ist das schon das Weitersagen wert. Ein resignatives Kopfschütteln und die Frage, wohin es mit der Welt gekommen sei, löst man allemal mit dieser Nachricht ein. Und Fliege Nummer zwei ist ihr Ärger, daß sie arbeiten muß fürs Geld. Oder wenigstens ihr Mann.
„Ach hallo“, ruft sie jetzt endlich in Richtung auf ein Grüppchen am Buffet und verschwindet mit einer vagen Gebärde zweifelnden Winkens zu mir hin.
In Wirklichkeit habe ich mit einem Studienkollegen zusammen eine Software-Firma gegründet. Wir liefern Komplettlösungen für mittelständische Betriebe, erarbeiten Vernetzungskonzepte und beraten allgemein im Bereich Bürokommunikation. Meine Frau hat ihr Betriebswirtschafts-Studium abgebrochen, um bei uns einzusteigen und ist keineswegs Psychologin, sondern eher eine Art Chefsekretärin. Die Maler-und-Psychologin-Nummer ziehe ich immer dann ab, wenn ich meine Ruhe haben will.
Außerdem liebe ich dieses Gefühl von bohemer Einsamkeit, dieses Nicht-dazu-Gehören, das sich danach immer
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