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Semmlers Deal

Semmlers Deal

Titel: Semmlers Deal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Mähr
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die andere auf eigene Rechnung. Die Prämie acht und ein bisschen was, der Ausübungspreis bei fünfundachtzig. Gehandelt wurde europäisch, das heißt, Semmler hatte nun das Recht, innerhalb der nächsten drei Monate zu bestimmten Tagen zehntausend Aktien der SILIV-AG zu einem Preis von fünfundachtzig Euro an den Emittenten der Option, die Bank, zu verkaufen. Die Aktie stand noch bei über neunzig. Wenn sie aber auf Grund der katastrophalen Ergebnisse von PZ 405 fiel, dann wurde dasein gutes Geschäft – die Gewinnzone begann etwa bei siebenundsiebzig, fünfundachtzig minus die Prämie. Denn der Besitzer einer solchen Verkaufsoption konnte die Aktie billig am Kassamarkt kaufen und an den weiterreichen, der ihm die Option verkauft hatte, und der musste die Aktie zu einem nun weit überhöhten Preis abnehmen. In so einem Fall wurden nie die einzelnen Aktien hin- und hergehandelt, sondern die Positionen durch den Verkauf einer gegenteiligen Option, eines Calls, glattgestellt, auch das waren keine realen Papiere, nicht einmal schlichte Zettel, sondern Zahlen in diversen Computern.
    Fiel die SILIV-Aktie auf sechsundvierzig, wie angenommen, hätte ihnen das Geschäft nach Abzug der bezahlten Prämie dreihundertzehntausend Euro eingebracht, davon ihm selber die Hälfte und noch einmal dreißig Prozent als »Vermittlungsgebühr« von der anderen Hälfte.
    Aber nun würde die Aktie sogar steigen. In dem Fall war eine Putoption wertlos. Denn es hatte keinen Sinn, eine Aktie zu fünfundachtzig an jemanden zu verkaufen, wenn man selber dafür, um sie zu bekommen, zum Beispiel neunzig zahlen musste. Es passierte weiter nichts, die Option wurde nicht ausgeübt und verfiel. Sie hatten, wie beim Roulette, etwas über achtzigtausend Euro auf Rot gesetzt – gekommen war Schwarz.
    »Wer weiß von Harlander?«, fragte er.
    »Nur der Vorstand.«
    »Na gut. Wir können das Ganze noch rückgängig machen – die Optionen wieder verkaufen. Dazu brauche ich aber zwei Tage ...«
    »Wieso? Das kostet dich doch nur einen Anruf ...«
    »Einen Anruf, so stellst du dir das vor? Bist du noch beiTrost? Das hab ich doch nicht über meine Hausbank abgewickelt, das läuft alles über gewisse Konten ...«
    »Schon gut, ich will es gar nicht wissen, also zwei Tage? Wie groß ist der Verlust?«
    »Na, alles kriegen wir nicht wieder raus, die Transaktionskosten fallen sowieso an, zweimal natürlich, ich denke so ... zehn Prozent.«
    Wurtz stöhnte auf. Es hörte sich unecht an, übertrieben, bei keiner Laienbühne wäre er damit durchgekommen. Aber es war echt, Semmler kannte ihn lang genug. Wurtz konnte nicht anders. Seine Gefühle kamen immer falsch raus. Er unterdrückte ein Grinsen, hatte er doch die Transaktionskosten verdoppelt. Hieß einfach, diese Kosten würde zur Gänze Wurtz tragen. Das war nur gerecht, er hatte die Sache ja auch vermasselt. Nüchtern betrachtet, war das Ganze ein Sturm im Wasserglas; zwei Möchtegernspekulanten hatten sich verhoben und mussten jetzt ein bisschen zahlen. Klar: Er konnte Wurtz um diese Kosten prellen, »prellen« war genau das richtige Wort, darum handelte es sich wie in »Zeche prellen« ... wer bezahlt das Essen? Der sitzen bleibt. Die anderen verschwinden durchs Klofenster ... Wurtz war ein Idiot. Und er? Ein kleiner Gauner, jawohl. Alles unsagbar schäbig. Aber er würde es machen. Er verachtete sich dafür, aber er konnte nicht anders handeln. Er konnte nicht verlieren. Geld verlieren. Die Verachtung war leichter zu ertragen als der Verlust.
    »Geh jetzt«, sagte er dann. Wurtz stand sofort auf und ging ohne Gruß. Er tat ihm nicht leid. Die gute Hilde würde ihm die Hölle heiß machen. Konnte er etwas dafür? Objektiv gesehen nicht. Aber objektive Betrachtung interessierte in solchen Fällen niemanden, nie. Das war kein Seminar inFinanzwissenschaft, das war das Leben. Wurtz hatte das nie richtig begriffen, er lebte in einer Welt der zweihundert Seiten dicken Verträge voller Klauseln, die sich nur Juristen ausdenken konnten, aber hier, bei ihren Geschäften ging es um Zähne und Klauen, um Blut und Gedärm.
    Er steigerte sich den ganzen Nachmittag in vulgärdarwinistische Betrachtungen hinein, Überleben des Stärksten, ehernes Gesetz des Dschungels und so weiter. Half, die bitteren Einsichten zu verdrängen, die ihn befielen, wenn etwas schief gelaufen war. Selbstbezichtigungen, Zweifel, Ekel. Dabei trank er einen Grappa, der Tresterschnaps war aus irgendeinem Grund besser geeignet als jede andere Art

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