Sengendes Zwielicht - Lady Alexia 05
wir irgendwelche Spekulationen anstellen?«
Alexia war überrascht. »Darf ich daraus schließen, dass Sie den Tempel noch nicht erkundet haben?«
»Ich bin selbst erst vor Kurzem hier angekommen. Wir machten gerade fest, als Ihr Ballon landete. Wie haben Sie es übrigens geschafft, einen Drifter dazu zu bewegen, Sie mitzunehmen?«
»Ich soll das Unrecht meines Vaters wiedergutmachen«, antwortete Alexia kryptisch und verzog missmutig das Gesicht.
»Gütiger Himmel, welches von den vielen denn?«, wollte die Erfinderin wissen. »Aber wie dem auch sei, es haben noch keine Ausgrabungen stattgefunden, also ist der Tempel immer noch vollständig mit Sand gefüllt. Es würde Jahre dauern, ihn auszugraben. Ich wüsste nicht, wo wir anfangen sollten.«
Alexia spritzte mit Wasser nach ihr. »Meine liebe Genevieve, ich kann mir nicht vorstellen, dass unsere Antworten im Inneren des Tempels liegen.«
»Nicht?«
»Nein. Erinnern Sie sich daran, was wir herausgefunden haben? Dass die außernatürliche Berührung Kontakt mit Luft – vorzugsweise trockener Luft – erfordert, um Wirkung zu zeigen? Denken Sie nicht, dass tote Außernatürliche vielleicht genauso funktionieren?«
»Tote Außernatürliche? Ist das unsere Quelle?«
Alexia schürzte nur die Lippen. »Wie lange wissen Sie denn schon, dass das eine Möglichkeit wäre?«
»Seit Schottland.«
»Das Artefakt der Vermenschlichung war eine Mumie?«
»Eines Außernatürlichen, ja.«
»Aber warum haben Sie mir das nicht gesagt? «
Alexia bedachte ihre ehemalige Freundin mit einem Blick, den Madame Lefoux deutlich verstand. Einem Mitglied des OMO hatte Alexia eine solch brisante wissenschaftliche Erkenntnis nicht enthüllen dürfen.
»Denken Sie, wir sollten außerhalb des Tempels nach dem Epizentrum suchen?«, fragte Madame Lefoux.
»Das denke ich in der Tat«, antwortete Alexia.
»Schaffen Sie das denn?«
Alexia runzelte die Stirn. »Ich kann alles schaffen, wenn wir dadurch am Ende ein paar Antworten bekommen.«
Eingedenk ihrer Ohnmacht von vorhin schlug Conall vor: »Wir werden Wasser mitnehmen und dein Kleid so nass wie möglich halten. Das könnte helfen.«
»Oh. Hast du mich deshalb vollständig bekleidet in den Nil geworfen?«
Lord Maccon zog ein komisches Gesicht. »Natürlich, Liebes.«
Sie paddelten ans Ufer und kletterten die schlammige Böschung empor. Als sie aus dem Fluss stieg, spürte Alexia sogleich wieder dieses grauenhafte Gefühl des Abgestoßenwerdens.
»Ich glaube, ich werde heute Nacht im Fluss schlafen «, sagte sie zu niemandem im Besonderen.
»Da hast du schon seltsamere Dinge getan«, war die Antwort ihres Gatten.
Früh am nächsten Morgen, bevor die Hitze der Sonne einsetzte, stiegen Lady Maccon, Lord Maccon und Madame Lefoux den Hügel oberhalb des Hatschepsut-Tempels hinauf. Alexia war völlig schrumplig von einer im Fluss verbrachten Nacht, wo sie in einer Art Hängematte liegend geschlafen hatte. Es war alles andere als erholsam gewesen, und sie war an diesem Morgen extrem reizbar und mürrisch. In ihrem Schlepptau folgte ein Tross Ägypter, von denen jeder mit einer großen Urne oder Feldflasche mit Flusswasser bewaffnet war. Sobald Alexia ein Zeichen gab, trat einer von ihnen vor und begoss sie damit von oben bis unten, sehr zu Prudence’ Vergnügen.
»Mama, nass!«
»Ja, Liebling.«
Der sandbedeckte Hügel, den sie erklommen, führte zum hinteren Teil des Tempeldachs, wo er in eine Felswand gehauen war. Den Sonnenschirm gegen die grausame Sonne erhoben hatte Alexia die Führung übernommen, obwohl ihr nasses Kleid sie beim Gehen behinderte. Dann folgte Genevieve und anschließend Conall mit Prudence.
Dort oben, auf der Spitze dieses Hügels, sahen sie zum ersten Mal die Leichen. Oder genauer gesagt die Mumien. Oder noch genauer gesagt war es Lord Maccon, der versehentlich auf einen der längst verstorbenen Außernatürlichen trat.
Die Mumie gab ein trauriges trockenes Knacken von sich, und eine kleine braune Staubwolke wallte auf.
»Conall, sei doch bitte vorsichtig! Wenn du etwas davon einatmest, könntest du für immer sterblich werden! Oder etwas ähnlich Widerwärtiges!«
»Ja, meine Liebe.«
Madame Lefoux hob die Hand, worauf sie alle stehen blieben und sich zunächst einmal umsahen. An der abfallenden Rückseite des Hügels hinunter konnten sie die acht langen Pfade erkennen, die hinaus in die Wüste führten.
»Geisterspuren«, murmelte Alexia in Erinnerung an Zayeds Worte.
»Das denke ich kaum.
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