Sengendes Zwielicht - Lady Alexia 05
Sonnenuntergang schien eher als Vorwand für Besuche zu dienen, als das Ende der Aktivitäten des Tages darzustellen. Conall führte sie ziemlich weit, nach Süden die Rue de la Colonne hinunter, an den Bastionen vorbei und durch die äußeren Elendsviertel der Stadt, bis sie den Kanal erreichten. Alexia machte sich allmählich Sorgen, dass sie es vielleicht nicht schaffen würden, rechtzeitig zu ihrem Besuch bei den Vampiren zurück zu sein. Conall konnte in seiner Wolfgestalt Entfernungen nicht besonders gut einschätzen, und obwohl Alexia eine ausgezeichnete Spaziergängerin war und körperliche Ertüchtigung nicht scheute, stellte es doch für sie eine gewisse Herausforderung da, eine ganze Stadt in nur einer Stunde zu durchqueren, insbesondere mit einem gelangweilten Kleinkind auf dem Arm.
Schließlich ließ sie Prudence auf ihrem Vater reiten, während Alexia sie mit einer Hand festhielt, damit alle ihre richtige Gestalt und Haut behielten.
Am Ufer des Kanals blieb der Earl stehen, und es dauerte nur einen Augenblick, bis Alexia klar wurde, dass sie ihn überqueren mussten.
»Also wirklich, Conall. Kann das denn nicht bis morgen warten?«
Er bellte sie an.
Seufzend winkte sie einem widerwillig wirkenden Jungen mit einer Art Floß aus Schilfrohr, das offensichtlich dazu diente, den Kanal zu überqueren.
Der Floßjunge weigerte sich mit heftigem Kopfschütteln und weit aufgerissenen Augen, den riesigen Wolf auf sein kleines Floß zu lassen, doch er zeigte sich unerwartet erfreut, als besagter Wolf ins Wasser sprang und sein Floß einfach hinüberzog. Er brauchte nicht einmal die Stange, die normalerweise zum Übersetzen nötig war. Lady Maccon verkniff sich jede Bemerkung über die Sauberkeit des Wassers.
Auf der anderen Seite angekommen gab Alexia dem Jungen ein paar Münzen und gab ihm mit Gesten zu verstehen, dass er auf sie warten sollte, während Conall sich heftig das Wasser aus dem Fell schüttelte.
Prudence klatschte kichernd über die Possen ihres Vaters in die Hände und tanzte in dem Sprühregen aus schmutzigem Wasser herum. Alexia erwischte gerade noch die Hand ihrer Tochter, bevor sie Conall berühren konnte.
Nun kam es ihnen entgegen, dass die Einheimischen an die exzentrischen Eigenheiten der Engländer gewöhnt waren. Eine Frau wie Lady Maccon in der heruntergekommensten Ecke einer fremden Stadt und allein mit ihrer einzigen Tochter und einem großen Wolf wäre in keinem anderen Teil des Reiches toleriert worden.
Gleichwohl folgte sie ihrem Gatten. Das sichere Wissen, dass das Leben mit ihm nie langweilig sein würde, war immerhin einer der Gründe gewesen, warum sie ihn geheiratet hatte. Sie hegte oft den Verdacht, dass das auch einer der Gründe gewesen war, warum er sie geheiratet hatte.
Anfangs war das Gefühl kaum wahrnehmbar, doch dann spürte sie es nach und nach immer deutlicher – ein Kribbeln, ein wenig wie eine Ätherbrise auf ihrer Haut, wenn sie flog. Nur kam ihr dieses Gefühl wie das Gegenteil vor. Das Prickeln von Äther war wie sanfte Champagnerbläschen auf der Haut, dagegen fühlte sich dieses Kribbeln an, als würden die Bläschen von ihrer eigenen Haut erzeugt. Es war nur ein schwaches Gefühl und beinahe angenehm, aber es war auch eigenartig. Wäre sie nicht bereits auf irgendeine neue Erfahrung vorbereitet gewesen, hätte sie es vielleicht nicht einmal wahrgenommen.
Prudence wedelte aufgeregt mit den Armen. »Mama!«
»Ja, Liebes, eigenartig, nicht wahr?«
»Nein.« Prudence war sehr entschieden diesbezüglich. Sie tätschelte Alexia die Wange. »Mama und …« Sie wedelte mit den Armen herum. »Mama!«
Alexia runzelte die Stirn. »Willst du damit sagen, dass sich die Luft für dich anfühlt wie ich? Wie überauseigenartig.«
»Ja«, stimmte Prudence ihr zu und benutzte damit ein Wort, von dem Alexia nicht gewusst hatte, dass es in ihrem Wortschatz existierte.
»Conall, ist das hier, was ich denke, was es ist?«, fragte Alexia den Wolf, ihre Aufmerksamkeit immer noch auf Prudence gerichtet.
»Ja, meine Liebe, ich glaube, das ist es«, sagte ihr Mann.
Vor Schreck ließ Lady Maccon ihre zappelnde Tochter beinahe fallen, dann hob sie den Blick, um sich zu vergewissern, dass ihre Ohren ihr keinen Streich gespielt hatten und ihr Gatte tatsächlich in der Nähe stand, vollkommen nackt und vollkommen menschlich.
Lady Maccon setzte ihre Tochter ab. Das Kind tapste eifrig auf Conall zu, der sie ohne Angst hochhob. Das war auch nicht nötig – Prudence blieb
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