Sengendes Zwielicht - Lady Alexia 05
Betonung ersetzt wurde.
Die sich daraus ergebenden Darbietungen schienen den Menschen die Arbeit zu erleichtern oder die Rast zu versüßen, doch für Alexia klangen sie monoton und unangenehm. Allerdings lernte sie wie zuvor bereits bei dem harmonisch-akustischen Resonanzstörer, es als bloßes Hintergrundgeräusch aus ihrem Bewusstsein zu drängen.
Während sie fröhlich dahinzockelten, fühlte sich Alexia veranlasst, bei so manchem kleinen Laden oder dem einen oder anderen Bazarstand anzuhalten, um die angebotenen Waren zu begutachten, wobei sie vor allem, wie es ihre Gewohnheit war, von köstlichen und exotischen Speisen angezogen wurde. Ivy und der mit Kindern beladene Esel folgten ihr im Schlepp. Das Kindermädchen schenkte ihren Schützlingen die gebührende Aufmerksamkeit und war die übrige Zeit vermutlich schockiert über die Fremdartigkeit der Stadt um sie herum. »O Mrs Tunstell, sehen Sie sich das an! Streunende Hunde!«, rief sie hin und wieder – oder: »O Mrs Tunstell, ist das zu glauben? Dieser Mann dort sitzt im Schneidersitz auf seiner Türschwelle, und seine Beine sind nackt!«
Mrs Tunstell wurde währenddessen immer konfuser aus Angst davor, sich in der fremden Stadt eines fremden Landes zu verlaufen.
Prudence hielt sich mit aller Kraft an der Mähne des Esels fest, und nachdem sie ihre Umgebung mit dem abschätzigen Blick eines erfahrenen Reisenden in sich aufgenommen hatte, legte sie das kleine Köpfchen in den Nacken, wobei sie beinahe den Hut verlor, und gurrte vor Entzücken über den fantastischen Anblick der unzähligen riesigen, bunten Ballons, die über der Stadt schwebten.
Die Ägypter waren in der Luftschifffahrt noch nicht bewandert, gewährten aber seit vielen Jahrhunderten den Ballon-Nomaden der Wüste, den gebräunten Verwandten der Beduinen, ihre Gastfreundschaft. Die ersten der englischen Siedler hatten sie »Drifter« genannt – Umhertreibende –, und diese Bezeichnung war geblieben. Eine große Anzahl von ihnen schwebte während des Tages über Alexandria, angelockt von den Märkten und dem Handel mit Touristen. Es gab sie in allen Farben aller Hüte, die Ivy jemals besessen hatte, und viele von ihnen waren gestreift oder aus bunten Flicken zusammengesetzt.
So faszinierend das alltägliche Treiben der Einheimischen auch sein mochte, Prudence lockte die Verheißung des Fliegens über ihr. Sie trällerte vor Entzücken.
Dergestalt angenehm unterhalten bahnte sich die Gruppe ihren Weg durch die Stadt und hielt nur ein einziges Mal übermäßig lange an, in einem der Bazare, als es Alexia eine feine Auswahl an Lederwaren besonders angetan hatte. Diese waren auf einer bunt gestreiften Matte ansprechend angeordnet. Dahinter saß ein Mann, der nicht wie all die anderen Einheimischen aussah, denen Alexia bisher begegnet war. Er trug andere Kleidung und hatte ein anderes Gebaren. Seine scharf geschnittenen bärtigen Züge und der feste Blick zeugten von Beständigkeit, Entschlossenheit und einem autokratischen Wesen. Außerdem sang er nicht.
Es handelte sich offenbar nicht um einen Alexandriner, sondern um einen der Beduinen aus der Wüste, zumindest glaubte Alexia das zunächst. Bis sie bemerkte, dass an dem Gebäude hinter ihm eine lange Strickleiter vertäut war, die sich bis hoch in den Himmel zum Korb eines der von Prudence so bewunderten Ballons erstreckte. Der Mann war ungewöhnlich gut aussehend, und er starrte Alexia einen Augenblick lang fest an.
»Leder für die hübsche Lady?«, fragte er.
»O nein, vielen Dank. Ich sehe mich nur um. Ich suche nichts Bestimmtes.«
»Sie sollten weiter südlich suchen. Die Antworten auf Ihre Fragen liegen in Oberägypten, Miss Tarabotti«, sagte der Drifter. Er sprach mit starkem Akzent, aber die Bedeutung seiner Worte war unmissverständlich.
»Wie bitte? Was haben Sie gerade gesagt?«, fragte sie verblüfft. Sie sah sich nach Mrs Tunstell um. »Ivy, hast du das gehört?« Als sie sich wieder umdrehte, war der Mann verschwunden. Er kletterte mit bemerkenswerter Gewandtheit und Schnelligkeit die Strickleiter in den Himmel empor, beinahe übernatürlich schnell – was natürlich unmöglich war, da es immer noch helllichter Tag war.
Alexia sah ihm mit leicht offenem Mund nach, bis eine neue Stimme fragte: »Leder für die hübsche Lady?« Ein kleiner Junge in typischer alexandrinischer Tracht blickte hoffnungsvoll zu ihr hoch, von genau der Stelle, an der der Mann gerade eben noch gesessen hatte.
»Was? Wer war dieser
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