Sense
Opfer eigentlich bei sich gehabt haben sollte?«
»Das habe ich ihn auch gefragt. Als er noch lebte.«
»Und, was hat er darauf geantwortet?«
»Er habe es verbrannt.«
Kling war ein Idiot. Alles, was er hätte machen müssen, war, Sascha einen Tag zuvorzukommen, alleine die Automaten leer zu machen, und zwar alle, und er wäre ein gemachter Mann. Stattdessen schilderte seine Chefin ihn als das typische, grundehrliche Faktotum, das eines schönen Tages mit neunhundertfünfzig Mark Rente da sitzt und den lieben langen Tag vor sich hinbrabbelt: >Ich habe mir mein Leben lang nichts zuschulden kommen lassen. Ehrlich währt am längsten. Ich habe mir mein Leben lang .<
Gut. Ich strich ihn.
»Frau Sentz. Neider. Feinde. Ehemalige Geschäftspartner, mit denen Sie im Streit auseinander gegangen sind. Mieter, die Sie an die Luft gesetzt, Angestellte, die Sie gefeuert haben. Fällt Ihnen dazu etwas ein?«
Und ob. Weia! Ich musste sie bremsen. Ursel Sentz war, alles in allem, keine konfliktscheue Person. Ich verstand plötzlich, warum sie Veronika so lieb und teuer war. Allein die Anzahl der laufenden Prozesse hätte zwei Seiten meines Notizbuches gefüllt. Ich unterbrach ihren Redeschwall und bat sie, mir im Laufe des Tages eine Liste zusammenzustellen. Sie nickte.
»Was ist mit aktuellen Drohungen? Erpressungsversuche? Zahlen Sie Schutzgeld? Wenn ja, an wen?«
»Nein, kein Schutzgeld. Es hat allerdings Versuche gegeben, das ist richtig. Doch wir haben uns schon früh mit anderen Spielhallenbesitzern zu einem losen Verbund zusammengeschlossen, wir kontaktieren einander, wenn es Ärger gibt, und wir beschäftigen eine Schutztruppe. Eine Rockergang aus Essen.« Na, dachte ich, wer mochte das wohl sein? »Die kümmern sich dann darum. Als Security-Unternehmen.«
»Aber aktuelle Drohungen gibt es nicht?«
»Herr Kryszinski. Mein Gatte und ich führen ein Unternehmen mit hohen Bargeldumsätzen und einer größtenteils geistig wie finanziell minderbemittelten Kundschaft. Unser ganzes Leben ist eine Bedrohung.«
Ich nickte. Sie hatte da einen Punkt. Doch so kamen wir nicht weiter. Nichts kann man so getrost vergessen wie eine Menge von hundertfünfzig Verdächtigen. Der reine Gedanke daran ist Zeitverschwendung. Es sind einfach zu viele. Wollte ich Sascha finden, musste ich mich auf ihn, auf seine Person, konzentrieren.
»Zu Ihrem Mann«, sagte ich. »Hat er Laster, Schwächen, persönliche Probleme? Hobbys? Starre Angewohnheiten?«
»Nuun.« Ein ordentlicher Schluck half ihr beim Denken. Ich schielte nach dem Cognac. Konnte selber ein bisschen Hilfe gebrauchen. Dann erinnerte ich mich meiner Vorsätze. Fluchte innerlich.
»Wie soll ich sagen?«, fragte sie. Ich wusste es nicht. »Hobbys, Laster, Schwächen? Fangen wir so an: Sascha trinkt sich ganz gerne einen.« Sensationell, dachte ich. Das konnte man nur von ungefähr 95% unserer erwachsenen Bevölkerung sagen. »Außerdem zieht er schon mal ein paar Lines weg.«
Noch ein paar Jahre, und wir hatten auch da einen ähnlichen Prozentsatz. »Und er spielt hier und da mal.« Aha.
»In welchen Sinne?«, fragte ich. Ich musste wissen, ob ich in Gelsenkirchen zur Trabrennbahn fahren sollte oder nach Dortmund oder Bad Neuenahr zum Kasino.
»Nun, er spielt Karten.«
»Blackjack?«
»Nein, meistens Poker.«
»Also nicht auf der Hohensyburg?«
Sie schnaubte kurz durch die Nase. »Nein«, antwortete sie dann, mir einem schiefen Lächeln. »Mein Sascha darf in kein Kasino. Schon lange nicht mehr.«
Säufer. Kokser. Zocker. Drei Schritte in meine Richtung! Viel besser ging es nicht. Von meiner Warte aus betrachtet. Ich fühlte mich, als bräuchte ich bloß noch die Arme auszubreiten und >Hab ich dich!< zu rufen. Ich wurde leichtsinnig.
»Kommen wir zu meiner Entlohnung. Was halten Sie davon, wenn Sie mir einen Spesenvorschuss zahlen und, sagen wir, eine Prämie für das Auffinden Ihres Ehemannes? Ein Erfolgshonorar?«
Sie sprang sofort darauf an. Fünf Minuten lang feilschten wir wie zwei ... wie zwei ... wie - feilschten wir halt, dann einigten wir uns auf einen Tausender Vorschuss und zwanzigtausend Prämie, wenn ich Sascha fand und nach Hause brachte.
Zwanzigtausend, dachte ich, als sie aus dem Zimmer ging, um den Vorschuss zu holen. Zwanzigtausend. Der Typ war seit achtundvierzig Stunden verschollen. Für einen koksenden Zocker war das nichts. Im Grunde sollte er das alle naslang machen. Schien ihn gut im Griff zu haben, seine Alte, wenn das tatsächlich nicht
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