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Sense

Sense

Titel: Sense Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Juretzka
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zurzeit nur kommen konnte.
    Und, was gab's zu sehen? Autorennen, zum einen. Zumeist, um ehrlich zu sein. Autorennen, Motorradrennen, Bootsrennen. Rennen mit Skateboards, Rennen mit BMX-Rädern. Rennen mit Krankenfahrstühlen (Scherz, mal wieder). Dann Kriegsführung, en gros und en detail. Virtuelle Dragos, zur besseren Unterscheidung mit verschiedenen Haarfarben und -trachten versehen, boxten und kickten einander in die Fresse und wo sonst noch hin. Lara Croft ballerte sich einen scheinbar niemals endenden Anfall von PMS aus dem System. Aliens wurden immer noch mit Raumgleitern gejagt, die im ewigen Vakuum des Universums die Formen, den Düsenantrieb und das Flugverhalten luftgestützter Abfangjäger an den ewigen Tag legten. Und auch die Aliens hielten sich an die Spielregeln und kamen mit ähnlichem Fluggerät daher. Und als - in der ewigen Schwerelosigkeit - aufrecht gehende Zweibeiner, versteht sich. Nur schon mal ein bisschen schuppiger, als es die good guys vom Blauen Planeten sind.
    Science Fiction, egal ob sie als Roman, Cartoon oder Film daherkommt, und Computerspiele ganz gleich welcher Ausprägung dokumentieren für mich klarer als alles andere die Grenzen menschlicher Vorstellungskraft. Was immer da an virtueller Realität geschaffen wird, es klammert sich so eng wie möglich an die bestehende. Wozu, möchte man sich fragen, dann die ganze Anstrengung?
    Um Geld damit zu machen, natürlich. Blöde Frage, eigentlich. Jetzt, so im Nachhinein.
    Geld, ja. Ich fragte einen intelligent und höflich wirkenden jungen Mann hinter einem Schreibtisch mit parallelogrammför-miger, blau gefärbter Glasplatte, getragen von Halbkreisbögen aus Nirostastahl, nach den Kosten für eine Stunde vor einem der Bildschirme. Erst beglotzte er mich blöde einmal von oben bis unten, dann belehrte er mich darüber, dass hier in Minuten abgerechnet wurde und teilte mir schließlich - keineswegs höflich - mit, wenn ich Porno-Videos erwarte, sei ich hier definitiv im falschen Laden. Anstatt ihm ein Ohr abzureißen und zu fressen zu geben, behielt ich meine Contenance und erkundigte mich ruhig nach dem Minutensatz, und er wies unter Runzeln seiner Stirn auf ein Schild, das ich, wie ich mir eingestehen musste, eigentlich nur mit Mühe übersehen haben konnte. Ich las den Tarif für eine Minute, errechnete daraus selbständig und ohne die Finger zu Hilfe zu nehmen die Kosten für eine Stunde, verglich das mit meinem eigenen, durch zwölf geteilten Tagessatz und hätte mir, wäre ich ein Hindu, in diesem Augenblick wahrscheinlich gewünscht, als Spielecomputer reinkarniert zu werden.
    Wie machen die das, fragte ich mich und besah mir die zum großen Teil noch nicht oder gerade eben erst wehrerfassten, wahlberechtigten Kiddies, die sich vor den Bildschirmen lümmelten, als hätten sie alle Zeit dieser Welt, und dabei gleichzeitig Geld in einem höheren Tempo ausgaben, als ich es selbst an guten Tagen einzunehmen vermochte.
    Wie finanzieren die das, fragte ich mich. Das müssen lauter Smarties sein.
    Auf der Rückfahrt von Gelsenkirchen versuchte ich, meine Gedanken zu ordnen.
    Die Kundschaft der Eheleute Sentz pflegte samt und sonders einen Lebensstil hoher Ausgaben, gespeist durch häufig undurchschaubare Einnahmen. Sollte ich Sascha nicht, wie erhofft, sofort finden können, würde ich mich mal unter diese Leute mischen müssen. Was im Fall >Spielorama< nicht weiter schwer wäre. Ein paar Runden Billard, eine beiläufige Erwähnung meiner Haftzeit, der noch beiläufiger eingestreute Hinweis, ich hätte Zugang zu jeder Art von Drogen, und ich wäre drin. Dann die >Game-Station< . Ein paar Runden >Tomb Raider<, eine beiläufige Erwähnung meiner Mitgliedschaft im Chaos Computer Club, gekrönt von dem noch beiläufiger eingestreuten Hinweis, ich hätte Zugang zu jeder Art von Software, und ich wäre drin? . Hm. Ein bisschen so, wie sich in einen kurdischen Kulturverein einschleichen zu wollen. Ohne den Schnurrbart. Und ohne Kurdisch zu können.
    Ich mag Oberhausen. Es ist eine lauschige, Tradition atmende kleine Metropole und bezieht einen Großteil seines Flairs aus einer Unzahl gesichtsloser, niedriger Wohnblocks an kahlen Straßenzügen, in denen die Autos halb auf dem Gehweg parken.
    Mein Freund Pierfrancesco Scuzzi hatte natürlich in eines der wenigen höheren Gebäude ziehen müssen, und selbstredend ganz nach oben. Während ich an seiner Haustür klingelte, versuchte ich, die vor mir liegenden fünf Etagen von der sportlichen Seite

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