Sense
Mark in der Tasche dem Ausgang zuzustreben. Ungefähr so, wie mit einer auf den Rücken gemalten Dartscheibe durch eine Kneipe voller besoffener Engländer zu laufen.
»Der macht das morgens. Da pennen die alle noch. Und außerdem«, fügte er mit einem trägen Blick durch den Laden hinzu, »kommen die doch, um Geld zu bringen, nich zu holen.«
Und ich hatte, wie er, einmal ringsum geschaut, auf die Bil-lardmachos, die zuckenden Flipperer, und, vor allem, auf diese Untoten, die mit dem Ausdruck unüberbietbarer, perfekter Leere in den ungesunden Gesichtern Fünfmarkstück auf Fünfmarkstück in die Schlitze der Geldschlucker stopften, nur um weitere zwei Minuten ein paar mit Zahlen beschrifteten Scheiben beim Rotieren zukucken zu dürfen.
Lauter Hirnis, dachte ich.
Sie gabens mir, lehrbuchmäßig, Seite um Seite. Sie hatten die >Der Harte und der Zarte< -Nummer durchgezogen, sie waren mit stichhaltigen Beweisen und messerscharfen Schlussfolgerungen um die Ecke gekommen, mit kalten Lügen und hitzigen Argumenten, sie hatten mir die immer gleichen Fragen und Anschuldigungen bis zur geistigen Verödung an den Kopf geworfen, und jetzt ließen sie mich allein.
Nur einen Augenblick, hatten sie gesagt und waren durch die Tür entschwunden. Und nicht zurückgekommen. Ließen mich einfach vor dem leeren Schreibtisch hocken, mit zwei Fahndungsplakaten, einem Kalender und der Aussicht auf den Hof als einziger Ablenkung, und warten. Schmoren, wie sie das nennen. ( >Allein gelassen, sieht sich der Unhold mit der Last seines Gewissens konfrontiert, ächzt unter dem moralischen Druck, den die Verfechter der Gerechtigkeit ausüben, und ringt mit dem Drang, durch freimütiges Gestehen eine zumindest partielle Erleichterung herbeizuführen<, Lehrbuch Verhörtechnik, S. 87 oben.)
Ich rang mit dem Drang, mich auf den Boden sinken zu lassen und der Ohnmacht anheim zu geben. Nur der hassenswerte Gedanke, von Hufschmidt aus dem Schlummer gebrüllt zu werden, hielt mich wach. Aber es war mühsam. Das Gefühl, dass er und Menden eigentlich jeden Moment wieder zur Türe reinkommen mussten, aber es nicht taten, das Unwissen, womit sie sich im Moment wohl beschäftigten, die Ahnung, dass es etwas mit mir zu tun hatte, haben musste, und die wachsende Gewissheit, dass es, wenn es so lange dauerte, nichts Gutes sein konnte, ließen meine Gedanken Kreise ziehen wie Steilwandfahrer, denen der Boden unter der Bahn weggebrochen und in einen Abgrund gefallen ist. Zermürbend, das. Er-mü-dend. Und was wäre, wenn ich nur für einen einzigen, winzigen, klitzekleinen Augenbli .
Vor dem >Spielorama< hatte ein Opel Manta mit mehreren Behörden-Aufklebern auf den blinden Scheiben geparkt, ein Mofa mit Hänger, ein Klapprad ohne Sattel und ein steroidge-dopter, spiegelglanzpolierter S-Klasse-Benz der vorvorletzten Baureihe.
Vor der >Game-Station< standen zwei Aprilia-Roller, ein Fiat Cinquecento Spotting in Gelb, der neue Renault Clio und ein Smart.
Links vom >Spielorama< hatte ein Hundefriseur seine Dienste angeboten, rechts ein Makler seine Telefonnummer in ein ebenso leeres wie trübes Schaufenster gehängt.
Die Nachbarschaft der >Game-Station< war dagegen richtig, wirklich, ernsthaft schnieke. Mit selbst einem Banausen wie mir etwas sagenden Namen überschriftete Boutiquen, Parfümerien, Schuhgeschäfte, Juweliere und andere Zeugnisse der Einfallslosigkeit, weltweit, der Reichen, mit ihrem Geld etwas wirklich Lustiges anzufangen, bildeten eine kleine, feine Prachtmeile, in die eine Spielhölle zu passen schien wie ein homosexueller Neger in die CSU.
Drinnen war es ... hell und dunkel zugleich. Smart ausgeleuchtet, würde ich sagen, mit sorgfältig platzierten Lichtinseln dort, wo die lässig und doch markenbewusst gewandete, durch die Bank weg jugendliche Kundschaft gesehen werden wollte, und Zonen angenehmen Halbschattens, in denen nichts von den rasenden Fluten bunter Bilder und den Kakophonien begleitender Geräusche ablenken sollte.
Die >Game-Station< war eine saubere, eine klinische Spielhölle, ohne Billard, ohne Flipper, ohne Daddelkästen, ohne Zöglinge staatlicher Erziehungsversuche. Alles, was es hier gab, waren Computerbildschirme und, anstelle von Keyboards, Steuerknüppel- und gaspedalähnliche Bedienungselemente. Die >Game-Station< war eine Spielhölle der Zukunft, ein Schaukasten der uns schon so lange angedienten, phantastischen Leistungsfähigkeit elektronischer Rechner. Virtual Reality, hier war ich so nahe dran, wie man
Weitere Kostenlose Bücher