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Sense

Sense

Titel: Sense Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Juretzka
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Wahrscheinlichkeit -«
    »Heutzutage darf man ja nicht mal mehr ...«
    »Und bei dem Fahrzeug handelte es sich mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit«, überschrie er mich, »um einen roten Toyota Carina, Baujahr 77.«
    »... >Knöllchenfotze< zu 'ner Politesse sagen«, brachte ich meinen Satz zu Ende.
    »Ein Modell, von dem in ganz Mülheim nur noch eines zugelassen ist.« Krüger ließ sich nicht ablenken und machte es richtig spannend, jetzt. Alle drei starrten mich intensiv an.
    »Toyota Carina, sagen Sie?«, fragte ich. »Das ist 'n gutes Auto. Technisch unverwüstlich. Motor und Getriebe sind 'ne Wucht, nur ist die Karosse leider ziemlich rostanfällig und die Hinterachse, also .«
    »Woher wissen Sie über diesen Fahrzeugtyp so gut Bescheid?«, wollte Krüger wissen, mit gefährlicher Arglosigkeit.
    »Ich? Ich hatte mal so einen. Ist schon 'ne Weile her.«
    Menden, muss ich sagen, wirkte nicht weiter überrascht, doch die anderen beiden fielen schreiend über mich her.
    Die Geschichte, die Carina schon vor Wochen an einen libanesischen Autoexporteur verkauft zu haben, nahmen sie mir nicht ab. No way.
    Die Theorie, dass der Mann mich belogen hatte, als er versprach, den Wagen sofort umzumelden, auch nicht. Stattdessen bezichtigten sie mich lautstark der Lüge. Schließlich machte Menden dem Geschrei ein Ende, indem er anordnete, die Carina in die Fahndung zu geben, aus verschiedenen Gründen, wie er ominös formulierte, mit höchster Priorität, landesweit.
    »Sachbeschädigung, Körperverletzung, Fahrerflucht. Dafür bringe ich Sie vor Gericht«, drohte Krüger noch, bevor er das Feld räumte.
    »Aber erst, wenn wir mit ihm fertig sind«, schickte ihm Hufschmidt zufrieden hinterher.
    »Hier hätten wir eigentlich runtergemusst.«
    Es gibt hoffnungsfrohe, optimistische Menschen, die glauben, einen Zug, der vor ihren Augen den Bahnhof verlässt, noch erreichen zu können, wenn sie nur schnell genug die Treppen zum Bahnsteig hochrennen. Oder eine Autobahnabfahrt noch zu erwischen, an der sie gerade mit hoher Geschwindigkeit auf der linken von drei dicht bevölkerten Spuren vorbeijagen.
    Ich bin, wie gesagt, eigentlich eher Pessimist.
    Ich versuchte es trotzdem.
    Hupen gellten, Reifen kreischten, Scheinwerfer starrten entsetzt, doch nichts berührte uns, als wir entschlossen rüberscherten auf die Abbiegespur und nicht ohne gewisse Bedenken ob unseres Tempo-Überschusses hineinbogen in die 180-Grad-Kehre der Abfahrt. Beinahe augenblicklich, wie ein unter den Füßen weggerissener Teppich, ging uns die Straße aus. Bis zum Einlenken hatte der Crown noch mir gehorcht, doch ab da folgte er nur noch den Gesetzen der Fliehkraft. Und die wollten es so, dass wir quer treibend fette Furchen in eine ansteigende Rasenfläche pflügten, den Scheitelpunkt der Fläche breitseits und im Hechtsprung nahmen, nach einem dumpfen, gefährlich schwankenden Aufprall weitere Spuren in den folgenden, recht steilen und buschig bepflanzten Abhang gruben, nur um schließlich, als wäre nichts gewesen, krachend und schlingernd und unter Verlust einer Radkappe und zweier Stoßdämpfer wieder auf Asphalt zu landen, ohne gegen Ende viel mehr kaputtgemacht zu haben als ein, höchstens zwei überflüssige Verkehrsschilder und vielleicht fünfzehn oder zwanzig dieser schwarzweißen Begrenzungspfähle aus Plastik.
    »Erste Straße hinter dem Ortsschild links«, sagte Scuzzi.
    Ein ehemaliger Landgasthof mit Tanzsaal, durch das Aufstellen zweier dorischer Säulen aus Gips links und rechts des Eingangs, das Anbringen des Schildes >Delphi< und den Aushang einer neuen Speisekarte zum Griechen mutiert. Ohne Erfolg, wie es aussah, denn der das gesamte Lokal umgebende Schotterparkplatz war leer. Wie die Äcker, die sich ringsum erstreckten. Und die Fenster waren dunkel, die Scheiben trüb.
    Kein Arsch, keine Menschenseele, niemand weit und breit. Das Lokal war zu, der liebliche Klang der Busuki verstummt, und das nicht erst seit gestern.
    Meine geistige Grundhaltung bewahrte mich davor, wirklich überrascht zu sein, kein goldmetallicfarbenes 12-Zylinder-Coupe vorzufinden, und doch war ich irgendwie enttäuscht.
    Wenn einem aufgeht, mal wieder in die Scheiße gepackt zu haben, und nicht so recht weiter weiß, versucht man erst mal unbewusst, die nackten Tatsachen zu leugnen. Es war niemand da, das war völlig offensichtlich, und trotzdem umrundeten wir suchend das Gebäude, auch noch mehrmals, klopften an Türen, probierten die Griffe, linsten

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