Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Sense

Sense

Titel: Sense Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Juretzka
Vom Netzwerk:
gefallen oder sicher weggepackt und vergessen. Trotzdem: Wenn sie jetzt schon mit solchen Kleinigkeiten um die Ecke kamen, konnte das nur bedeuten, dass ihre Mord- oder Totschlagtheorie auf ständig wackliger werdenden Beinen stand. Auf immer tönerner werdenden Füßen. Auf Sand.
    Ich sagte: »Ich brauch einen Arzt.«
    »Ist unterwegs«, sagte Menden.
    Das war mal eine klasse Hand gewesen. Meine Lieblingshand. Was hatte sie mir nicht schon alles für gute Dienste erwiesen! Und nicht nur, wenn wir allein unter der Bettdecke waren.
    Sie war es, die mir die Nahrung zum Mund führte, die Getränke, die Camels, die Kopfschmerztabletten.
    Und jetzt das. Kann man sich als Rechtshänder auch mit der linken Hand die Zähne putzen? Oder den Arsch abwischen?
    Nun, ich würde es lernen, lernen müssen, von sofort an, wie es aussah. Und auch wacklige Schecks, Offenbarungseide, falsche Aussagen und Schuldscheine aller Art würde ich in nächster Zeit mit links erledigen müssen. Was, so betrachtet, eigentlich noch die geringste Umstellung verlangen dürfte.
    Doch jetzt musste ich da erst mal einen Arzt dranlassen. Und zwar rasch, bevor die Pein mich irremachte. Und der würde mir als Erstes die Frage stellen, deren Beantwortung auch mir von Minute zu Minute dringlicher wurde.
    »Was genau ist eigentlich passiert?«, fragte ich.
    Scuzzi nahm den Kopf in den Nacken, blies eine Wolke Richtung Himmel und verharrte dann in dieser Haltung, wohl um den Regen sein Auge kühlen zu lassen.
    »Du hast den Spieltisch umgetreten«, sagte er tonlos. »Lustig! Spielkarten, Chips, Geldscheine in Massen, alles flog bunt durch die Luft, es war schöner als Karneval in Rio und eine New Yorker Konfettiparade zusammen.«
    Er pausierte und fuhr sich mit der Zunge langsam über die Zähne, wie jemand, der Inventur hält. Erst jetzt fiel mir auf, dass auch seine Lippen dicker als sonst aussahen.
    »Ich kam gerade rein, als es passierte. Also, der ganze Zaster, mehr als ich je auf einem Haufen gesehen habe, ist mit Juchhei! in die Luft geflogen. Der Gastgeber, ein Nichtschwimmer übrigens, ist mitsamt Stuhl in den Pool gesegelt. Und der große Sektkühler, der mitten auf dem Tisch gethront hatte, der ist Siegfried >Elvis< König direkt an die Omme geknallt.«
    Scuzzi sagte das so, als ob mir der Name etwas sagen müsste, doch er sagte mir nichts. Ich packte meinen rechten Unterarm mit der Linken und bugsierte mich vorsichtig in eine sitzende Position. Es gibt Zeiten, da wäre man für eine Ohnmacht dankbar.
    »Und?«, fragte ich, außerstande, Mitgefühl für irgendjemand anderen als mich selbst zu empfinden.
    »Sah wahrscheinlich ein bisschen dramatischer aus, als es war. Platzwunden am Kopf bluten ja immer so spektakulär.« Er nahm einen letzten Zug und schnickte den Pappfilter in die Gegend. Wir parkten, fiel mir auf, immer noch vor der Stadtvilla.
    »Wir sollten jetzt wirklich so langsam mal weiter«, meinte er und ließ sich auf die Füße gleiten. »Kannst du fahren?« Ich nickte vage. »Und dann?«, fragte ich.
    »Dann sind seine beiden Leibwächter über dich her. Ich dachte ehrlich, sie bringen dich um.«
    Ich zog die Knie unter mich und stemmte mich langsam in die Höhe, bis ich Auge in Auge mit meinem Freund Pierfrancesco da stand. »Danke«, sagte ich und meinte es.
    Er nickte knapp. »Was ich nicht verhindern konnte, war, dass die drei - Elvis und seine zwei Schutzengelchen - dich, kaum dass man seine Wunde mit einem Handtuch notdürftig verbunden hatte, auf die Straße geschleift, dort die Türe dieses Wagens hier geöffnet, deine rechte Hand ins Schloss gelegt und dann vier- oder fünfmal hintereinander versucht haben, die Türe wieder zum Schließen zu bekommen.«
    Ach so, dachte ich und ließ mich rückwärts auf den Fahrersitz sinken. Ach so. Na, damit wäre das also geklärt.
    Allein, die frischvergipste Hand wie ein Neugeborenes im Schoß, steuerte ich den Crown durch die Nacht. Die Spritzen, die sie mir im Evangelischen Krankenhaus gesetzt hatten, verloren schneller an Wirkung als gelallte Liebesschwüre, weshalb ich unterwegs war nach Saarn, zur nächsten NotdienstApotheke. Scuzzi war fort, war mit dem Taxi nach Hause, seine Wunden lecken.
    Mich hatte ein junger Unfallchirurg namens Möller verarztet, frisch von der Uni und erst, wie er mir graugesichtig und mit wunden, schweren Lidern mitteilte, seit zweiundsiebzig Stunden ohne Unterbrechung im Einsatz.
    In meiner Rechten war kaum ein Knochen heil geblieben. Möller zeigte sie mir

Weitere Kostenlose Bücher