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Sense

Sense

Titel: Sense Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Juretzka
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gewesen.
    »Sagen Sie mal«, hatte sie gesagt, im Türrahmen lehnend, einen weiteren, hohen, blassbraunen Drink auf der Faust, »verraten Sie mir mal eins, Sie Detektiv: Wieso sind Sie sich eigentlich so verdammt sicher, dass es wirklich Sascha war, der in dieser Nacht umgebracht werden sollte? Und nicht« - Pause, hässliches kleines Lächeln - »Sie?«
    Noch zwei Stunden bis zur Öffnungszeit, doch die Rollläden waren schon hochgezogen, und durch die Bleiverglasung konnte man drinnen die Discolichter schweifen sehen. Der Haupteingang war natürlich noch zu, also ließ ich mich durch die Haustür ein und machte den Umweg über die Küche.
    Draußen wurde es jetzt rasch dunkel, und, da außer der Lichtorgel keine einzige Lampe an war, hier drinnen auch. So ganz ohne Gäste und fast ohne Beleuchtung wirkte die Kneipe riesig und voller Schatten. Es herrschte Stille, nur ab und zu unterbrochen von der Bedampfungsanlage, die mit röchelndem Zischen eine Nebelbank auf die leere Tanzfläche schickte, durch die sich die langen, schmalen Kegel der bunten Scheinwerfer hindurchtasteten, wie auf der sehnsüchtigen Suche nach Tanzenden. Würden sie und die Musik jemals wiederkommen?
    Mir wars wurscht. Der hintere, >Zappelbude< genannte Teil der >Endstation< sah mich nie, genauso wenig wie die seitlich gelegene, mit Geldspielautomaten und sonstigem Kneipensportgerät voll gestellte >Daddelbude<. Mein Platz war vorne, im Rauch, im Gelaber, in Reichweite des Tresens. Mein Teil der >Endstation< war unwiderruflich die >Ballerbude<.
    O Gott, was mochte sich hier vorgestern Nacht abgespielt haben? Alles Durchforsten des halsgestützten Datenspeichers ergab für die fraglichen Stunden nur schemenhaftes Geflacker und rauschenden Ton, wie Pay-TV ohne Decoder.
    In der abgedunkelten Daddelbude brachte sich ein Flipper mit monotonem Gequake in Erinnerung, und ich zuckte zusammen wie schon lange nicht mehr.
    Was - ließ man Ursel Sentz' Theorie einmal zu, was nur gegen inneren Widerstand möglich wurde -, was könnte ich vorgestern Nacht angestellt haben, um jemanden dazu zu bringen, mir den Hals umdrehen zu wollen wie einem schlachtreifen Hahn? Alles, woran ich mich erinnern konnte, war, jedem, der es nicht wissen wollte, erzählt zu haben, gegen Schmerzen in der Hand gäbe es nichts Besseres als diese Pillen hier und ein wenig Bier. Nervig, sicher, aber kein ausreichendes Motiv für eine solche Tat. Hatte ich, und sei es im Scherz, gleichzeitig Mutter und Männlichkeit eines Südländers beleidigt? Gar nicht mein Stil. Hatte ich, in Anwesenheit von zwei beturbanten Bartträgern, Spekulationen über die sexuelle Ausrichtung des Propheten angestellt? Auch nicht mein Stil. Wenn schon, dann hätte ich eher über den halsstarrigen Fundamentalisten im Vatikan vom Leder gezogen. War es das gewesen? Hatte man mir deshalb den Opus Dei auf den - buchstäblich - Hals gehetzt? Oder hatte ich, auf dem Pott vielleicht, irgendeine Form von konspirativer Unterhaltung nicht nur belauscht, sondern, hackenkackendicht, wie ich gewesen war, auch noch lauthals kommentiert? ( >Dededem Reemtsma nomma zu entführn könnter vergessen, der hat getz Bobobody-guards.< ) Was um alles in der Welt hatte ich angestellt? Ich brauchte dringend Aufklärung und war doch gleichzeitig nicht so richtig scharf drauf. Ähnlich einem Gang zum Zahnarzt erhoffte ich mir Besserung und fürchtete doch die Prozedur. Und was war sonst noch los gewesen? Wer hatte sich an dem betreffenden Abend überhaupt hier in der Kneipe aufgehalten? Das galt es vorab zu klären. Also immer mit der Ruhe, Kristof. Ich musste Bernhard - »Kristof«, kam eine geisterhafte Stimme vom dunkelsten Ende des Tresens, und der Schreck fuhr mir bis ins Gedärm, »na, haben sie dich wieder laufen lassen?« Bernhard. Ich ging rüber zu ihm.
    Er saß vornübergebeugt an der Theke, das von Natur aus lockige, dunkle Haar hing ihm hinten bis in den Nacken und vorne bis in die Stirn, und selbst im Profil wirkten die Schatten unter seinen Augen einmal mehr wie mit dem Daumen hingeschmierter Ofenruß. Bernhard arbeitet nachts und kann tagsüber nicht schlafen, was, auf Dauer gesehen, an die Substanz geht, nehme ich an. Vor ihm stand eine Margarita. Zwei Stunden vor Schichtbeginn eine gewagte Einstimmung.
    Ich sagte nichts, doch meine Augenbrauen führen schon mal ein Eigenleben.
    »Ich habe heute wieder 'ne House-Party«, sagte er, »und Mann, was habe ich eine Lust.«
    Bernhard war, weil der Laden in letzter Zeit nicht so

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