Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Sense

Sense

Titel: Sense Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Juretzka
Vom Netzwerk:
recht lief, zu guter Letzt auch noch auf den Techno-Zug aufgesprungen, hatte für die Wochenenden einen zwergenhaften, pickeligen >Kult< -Discjockey eingestellt und hielt die Kneipe von Freitagabend bis Montagmorgen durchgehend geöffnet. Alles für die Hibbeligen. Nicht, dass sie kamen. >DJ Gaga<, wie wir hier vorne ihn nannten (die >Ballermänner<, wie er uns zu titulieren pflegte), legte seinen elektronischen Stumpfsinn auf und kassierte seine Kohle, aber Bernhard wartete vergeblich auf den Erfolg. Ich hatte es ihm erklärt.
    >Erst mal<, hatte ich gesagt, >bist du mit diesem Konzept zehn Jahre zu spät dran. Ich meine, zur nächsten Love Parade reisen doch die Ersten schon mit der Seniorenkarte an. Und dann, Bernhard, funktioniert diese Musik nicht mit Bier. Und solange du einen Türsteher beschäftigst, der jeden, der mit großen, staunenden Augen und einem links vom Schwachsinn angesiedelten, grundlos glückseligen Lächeln einhertaumelt, rüde wieder nach Hause schickt, kriegst du die Zappelbude nie voll.< Doch Bernhard ist Wirt und wie alle Wirte groß im Weghören.
    »'n Bier?«, fragte er, und ich nickte automatisch. Ein Kriterium, das alle Phasen teilen, und seien es Phasen selbst gewählter Abstinenz, ist, dass sie irgendwann mal ein Ende haben.
    Bernhard stand auf, ging um die Theke herum und begann, den ersten Schaum des Tages in einen Halbliterhumpen röcheln zu lassen.
    Ich bin ein Mann in Sorge und kann so viel ballern, wie ich will, dachte ich düster. Es nahte der Zeitpunkt, an dem der Zahnarzt >Mund auf< sagt.
    »Du, hm«, begann ich schwungvoll, »wie, ähm, war ich denn so drauf gewesen, du weißt schon, erm, vorgestern Nacht?«
    »Oooo-ha«, sagte Bernhard, schüttete das zweite und auch das dritte Glas voll Schaum in den Ausguss.
    »Jeeesus«, sagte er und begann, mir mein Bier zu zapfen.
    »Weia!«, sagte er und zapfte gleich noch ein zweites an.
    »Meine Fresse«, sagte er und wartete, dass der Schaum sich ein wenig setzte.
    »Also so«, sagte er und hob das erste Glas wieder unter den Hahn, »also so«, fuhr er fort und ließ Bier nachgurgeln, »also so dermaßen strack hab ich dich schon lange nicht mehr erlebt.« Und er warf einen Bierdeckel vor mich auf die Theke und stellte das Glas obendrauf.
    Hm. Na, was musste ich auch fragen.
    »Warum«, fragte ich, nicht aus Interesse, o nein, und auch nicht aus einer perversen Form des Masochismus heraus, sondern weil ich es wissen musste, »was hab ich denn angestellt?«
    »Angestellt? Och, nichts weiter. Du bist nur herumgetorkelt wie eine Kuh mit Rinderwahnsinn, hast praktisch jede einzelne Frau im Laden anzubaggern versucht und die kleine Betty, weißt du?, die in Hamburg studiert und nur alle paar Wochen mal nach Mülheim kommt?, also die hast du, im Bemühen, ihr ein Ohr abzukauen, Schritt für Schritt und Stück für Stück mindestens dreimal rings um den großen runden Stehtisch gejagt.«
    Also, kurz gesagt, meinem Image ein neues Highlight aufgesetzt.
    Ich bin halt eine empfindsame Natur und angewiesen auf weibliche Gesellschaft, dachte ich und nahm einen großen, langen Schluck. Alkohol ist doch eine furchtbare Droge, dachte ich dann noch.
    »Das müssen die Tabletten gewesen sein«, sagte ich, »gegen die Schmerzen in der Hand.« Ich hielt den bröckeligen, an-geschmuddelten Behelfsgips in die Höhe.
    Bernhard nickte. »Sicher«, meinte er. »Und die sieben oder acht Tequila Schock hatten nichts damit zu tun.«
    O-ha. Tequila mit Sekt, aufgeschäumt und runtergestürzt. Nichts wirkt schneller, nichts bestialischer. Nur zu empfehlen, wenn man sich wirklich die Kugel geben möchte. Fünf Stück galten bisher als Obergrenze. Jetzt wunderte mich nichts mehr.
    »Aber irgendwie Theater gemacht habe ich nicht? Leute beleidigt oder ihnen Prügel angeboten oder so was?«
    »Nö. Eigentlich nicht. Du bist nur mit starker Schlagseite herumgewankt und hast zwischendurch Drago mit Fragen gelöchert, wie er Boy George findet. Oder Elton John. Oder George Michael. Oder Marc Almond. Oder Jimmy Somerville.«
    Eijeijei. Lauter schwule Sänger. Wie geschickt. Da hatte Scuzzi mir ja einen schönen Floh ins Ohr gesetzt.
    »Hieltest dich für mächtig witzig.«
    Wie das schon mal vorkommt, wenn man nicht mehr ganz nüchtern ist. Ich werde nie begreifen, warum die Leute trinken.
    »Dann hast du versucht, ihn für >Blumfeld< zu begeistern.«
    Oh, mein Gott, nicht nur schwul, sondern penetrant schwul. Was war nur in mich gefahren?
    »Und Drago? Wie hat der

Weitere Kostenlose Bücher