Sensenmann
Dort solltest du ansetzen. Der Mann war fast siebzig. Pädosexualität entsteht nicht erst im Rentenalter. Dabei kann es sich um bloße sexuelle Fantasien, aber ebenso um konkrete sexuelle Handlungen mit Kindern handeln. Ich kann nur mutmaßen, denke aber, dass er vorher schon in der Richtung aktiv gewesen sein wird. Sagtest du nicht, er wäre Lehrer gewesen?«
»Die Nachbarin war sich nicht ganz sicher. Aber anscheinend hat er zumindest in einer Bildungseinrichtung gearbeitet. Sie meinte, er habe in Zwickau gelebt, bevor er nach Leipzig gezogen sei.«
»Wenn das zutrifft, was die Frau sagt, dann könnte auch das ein Zeichen sein. Pädosexuelle ergreifen oft Berufe oder gehen in ihrer Freizeit ehrenamtlichen Tätigkeiten nach, bei denen sie mit Kindern zu tun haben: Lehrer, Erzieher, Chorleiter, Trainer. Nimm es als Arbeitshypothese, dass dieser Grünkern damals schon einschlägig aktiv war. Wenn du ein bisschen in seiner Vergangenheit wühlst, findest du wahrscheinlich Beweise dafür. Vielleicht wurden nach der Wende Tatbestände aus den Akten gelöscht. Aber es müsste in seinem damaligen Umfeld Zeugen geben, die sich erinnern; einstige Arbeitskollegen, Schüler, Eltern. Diese Leute könnte man befragen.« Ein Löffel klapperte in einer Tasse. Sie hörte Mark schlucken. »Aber Lara – versprich
mir, dass du vorsichtig bist. Wenn der Täter, der diesen Grünkern ermordet hat, mitbekommt, dass du in dessen Vergangenheit rumwühlst, könnte er auf dich aufmerksam werden. Wir wollen doch nicht, dass du in Gefahr gerätst.«
»Ich werde morgen erst mal im Netz recherchieren und meine Quellen ausschöpfen. Dann sehen wir weiter.« Sie betrachtete das aufgeschlagene Notizbuch auf ihren Knien. Hoffentlich konnte sie das Gekrakel zu Hause noch entziffern. Die Sonne war gewandert und brannte jetzt auf ihren Unterarmen. Am Eingang des Supermarktes hatten sich drei ältere Männer eingefunden. Sie standen mit ihren Bierflaschen im Schatten des Vordaches und unterhielten sich.
»Warum verbeißt du dich eigentlich so in diesen Fall?«
»Weil ich damit angefangen habe. Und was ich anfange, führe ich auch zu Ende. Kriminalobermeister Schädlich hat gesagt, ich sei ein Bullterrier.«
Mark lachte. »Nicht sehr schmeichelhaft. Aber ganz unrecht hat er da nicht.«
»Übrigens hat mir Hampelmann am Dienstag das Gerichtsressort entzogen. Das macht jetzt alles Tom. Ich musste alle Unterlagen an ihn übergeben. Es kam zu einem kleinen Eklat, nachdem ich wegen Tom beinahe einen Gerichtstermin verpasst habe und mich deswegen bei Hampenmann über ihn beschwert habe. Aber da reden wir besser ein andermal drüber.«
»Oh, okay. Aber solltest du dich dann nicht besser aus dem Fall raushalten, um dir nicht noch mehr Ärger einzuhandeln?«
»Muss ich darauf eine Antwort geben?«
»Nein. Ich meinte es auch eher ironisch.« Mark kannte Lara. Nie im Leben würde sie sich von so etwas ins Bockshorn jagen lassen. Im Gegenteil, das weckte ihre Kämpfernatur.
»Übrigens – heute Abend horche ich Schädlich ein bisschen zu dem Fall aus.«
»Schädlich? Aber heute ist Sonnabend. Wieso …« Eine Sekunde
verging, dann holte Mark Luft und setzte fort. »Du triffst dich privat mit ihm?«
»Na ja … ich …« Lara druckste herum. War Mark etwa eifersüchtig? »Ich dachte, er packt vielleicht mehr aus, wenn er nicht unter der Fuchtel von Stiller steht.«
»Na, dann viel Glück damit. Und halte mich auf dem Laufenden.«
»Ich rufe dich spätestens am Montag an.«
»Bis achtzehn Uhr habe ich Patienten. Aber danach erreichst du mich in der Praxis.«
»Fein. Dann bis Montag. Und danke, Mark.«
»Sei vorsichtig.« Er legte auf. Lara betrachtete das Handydisplay. Ein feiner Feuchtigkeitsfilm hatte sich über das Glas gelegt. Auch ihr Ohr war schweißnass. Bis zu der Verabredung mit Kriminalobermeister Schädlich war nicht mehr viel Zeit. Sie musste noch den Inhalt ihres Diktiergerätes auf die Festplatte überspielen, damit es bereit für neue Informationen war, duschen, sich umziehen und ein bisschen zurechtmachen. Lara setzte sich zurecht und fuhr los.
39
Mark klappte die Patientenakte auf und überflog seine Aufzeichnungen. Maria Sandmann hatte in einer Viertelstunde ihren nächsten Termin, und er wollte vorbereitet sein. Letzten Freitag war sie von der Einleitung der Hypnose übergangslos in tiefen Schlaf gefallen. Dieses Verhalten war ein sicheres Anzeichen dafür, dass das Unterbewusstsein sich mit allen Mitteln gegen einen
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