Sensenmann
ihn!«
»Lassen Sie uns nicht spekulieren, Frau Stengel. Das überlassen wir besser anderen.« Die beiden Alten wirkten ein bisschen enttäuscht. »Ich würde gern auch noch mit Sven Bräger reden. Er ist arbeitslos, sagten Sie vorhin? Dann müsste er ja zu Hause anzutreffen sein.«
»Leider nein. Er ist am Mittwoch weggefahren und kommt erst übernächste Woche wieder.« Leonie Stengel schien gar nicht böse darüber zu sein, dass ihr Informant nicht erreichbar war. So war gesichert, dass sie vorerst die einzig wichtige Quelle blieb.
»Schade. Na gut.« Lara schielte unauffällig auf die Uhr. Fast eine Stunde war vergangen. Sie hatte ihren Fragenkatalog abgearbeitet und interessante Neuigkeiten erfahren. Damit konnte sie heute Abend Ralf Schädlich ein bisschen auf den Zahn fühlen. Die beiden alten Frauen schienen enttäuscht, dass sie schon loswollte. Nicht jeder Sonnabend war so spannend wie der heutige. Sie verabschiedeten sich mit dem Versprechen, alle Neuigkeiten sofort weiterzugeben. Noch auf der Straße hatte Lara das Gefühl, ihr starrten zwei sensationslüsterne Augenpaare Löcher in den Rücken.
In ihrem Auto stand schwülwarme Luft. Die Sonne hatte den gelben Mini auf Backofentemperaturen aufgeheizt. Lara öffnete beide Türen, setzte sich mit halbem Hintern, die Beine nach draußen, auf den Fahrersitz und suchte nach ihrem Handy. Sie musste das mit Mark besprechen. Hoffentlich war er erreichbar.
»Grünthal.«
»Hier ist Lara.«
»Lara? Hallo.« Mark klang gehetzt. Er fragte nicht, was sie am Sonnabendnachmittag von ihm wollte, aber Lara hatte das Gefühl, sie störe. »Wolltest du mit mir über deinen Kollegen reden?«
»Nein. Es hängt zwar entfernt auch mit Tom zusammen, aber vordergründig geht es um etwas anderes. Ich habe neue Informationen im Fall dieser zweiten Plattenbauleiche. Hast du ein paar Minuten Zeit, um das kurz mit mir zu besprechen?«
»Im Fall der zweiten Plattenbauleiche?« Marks Stimme war etwas höher als sonst. »Wie meinst du das?«
»Äh …« Lara rutschte ein bisschen nach hinten. Hatte sie in der Hektik der letzten Tage vergessen, Mark davon zu erzählen?
»Am Montag haben sie hier in der Grünau wieder einen Toten gefunden. Allerdings diesmal nicht in einem Abbruchhaus, sondern in seiner Wohnung.« Aus Marks Telefonhörer kam Kindergeschrei. Sie hörte Mark flüstern: »Es ist dienstlich«, bevor er sagte: »Warte, ich gehe ins Arbeitszimmer.« Eine Tür klappte und es wurde still. Im Telegrammstil fasste Lara die Ereignisse zusammen und endete mit den Worten: »Ich glaube, die zwei Fälle gehören zusammen. Ich weiß nur noch nicht, wie.«
»Es waren also beides Männer im Rentenalter, alleinstehend, sie hatten keine näheren Angehörigen. Und die Tatorte liegen nur wenige hundert Meter voneinander entfernt. Du hast recht, das sind ausgeprägte Parallelen. Aber die Unterschiede sind auch nicht zu übersehen. Was weißt du noch?«
»Die Wohnungstür war anscheinend nicht aufgebrochen.«
»Das spräche dafür, dass er den Täter kannte.«
»Zumindest erschien er ihm nicht gefährlich, sodass Grünkern unbesorgt die Tür geöffnet hat.«
»Du bist eine richtige kleine Detektivin, Lara.« Man konnte Mark grinsen hören. »Und weiter?«
»Angeblich wurde das zweite Opfer gefoltert.«
»Wie?«
»Er soll gefesselt gewesen sein. Sein Arm war auf einem Brett befestigt, und unter dem Fingernagel steckte eine lange Nadel …«
»Lara? Bist du noch dran?«
»Mir ist gerade etwas eingefallen.« Erst jetzt verknüpfte ihr Gehirn den Hinweis von Leonie Stengel, dass der Arm von Rainer Grünkern auf ein Holzbrett geklebt worden war, mit ihren Halluzinationen von letztem Wochenende. War Rainer Grünkern just in dem Augenblick gefoltert worden, als sie mit Mark und Jo im Lindencafé gesessen hatte?
»O mein Gott … Ich habe gesehen , wie der Täter ihn gefoltert hat! Letzten Sonntag. Erinnerst du dich an meine Halluzination, als wir mit Jo in dem Gartenlokal saßen?«
»Ja. Nur zu gut: Werkzeuge, eine Hand, eine Nadel, die unter einen Fingernagel geschoben wurde. Das klingt ziemlich nach dem, was dem Mann angetan wurde.«
»Und ich habe eine Stimme gehört, die gesagt hat: ›Vielleicht hilft dir das, dir die Qualen deiner Opfer besser vorstellen zu können‹.«
»Die Qualen deiner Opfer …«
»In Grünkerns Wohnung wurde angeblich Kinderpornografie gefunden. Was, wenn ein Betroffener sich an ihm gerächt hat?«
»Das klingt nach einem guten Motiv.
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