Sensenmann
haben.
Die Erinnerungen an die Ereignisse in dem Pförtnerhaus waren so plastisch gewesen, dass er das Gefühl nicht loswurde, er sei dabei gewesen. Hatten die Erzieher – unten ihnen Rainer Grünkern – tatsächlich den Tod eines Kindes verschuldet? Und was war danach geschehen? Was hatten sie mit der Leiche gemacht? Würde man bei einer Suche auf dem Grundstück des ehemaligen Kinderheimes Knochenfragmente finden, so wie in den Kellern von Haut de la Garenne ?
Und wer war diese Frau mit der Schweinenase gewesen, die Grünkern Gesellschaft geleistet hatte? Die Sagorski hatte auch ein Mopsgesicht gehabt, aber er war sich ziemlich sicher, dass sie nicht die Frau in dem Keller gewesen war. Es musste eine Person sein, die ihr ähnelte.
Matthias stürzte eine eiskalte Cola hinunter und rief seine Liste auf. Mithilfe von Sebastian Wallau und zwei anderen Ehemaligen hatte er eine stattliche Anzahl von Namen zusammenbekommen. Bei einigen fehlten noch diverse Details, bei anderen häuften sich die Anmerkungen. Er ließ seinen Blick über die Namen huschen. Bei einem von ihnen blieb er hängen, und Matthias dachte einen Augenblick nach, dann glitten seine Finger schnell über die Tasten.
Er musste nicht lange in den gespeicherten E-Mails von Sebastian Wallau suchen, bis er die Stelle gefunden hatte. Die Sätze sprangen ihn regelrecht an, und als er sie noch einmal gelesen hatte, fragte er sich, warum ihm das nicht schon viel eher eingefallen war.
Sebastian hatte in einer seiner ersten Mails von einer Frau geschrieben, die »Miss Piggy« genannt wurde, weil »ihre Nase wie die eines Schweines aussah«. Das musste die Gesuchte sein. Ihr Nachname war Gurich.
Matthias nahm die Finger von der Tastatur. Wenn er selbst als Kind diese Gurich im Pförtnerhaus gesehen hatte – wieso konnte er sich dann nicht an sie erinnern? Noch einmal schloss er die
Augen und rieb sich die Stirn, aber es wollten keine Bilder zum Vorschein kommen. Vielleicht war das aber auch gar nicht nötig. Er wusste jetzt, wer die Frau war, und konnte nach ihr suchen. Wenn er sie gefunden hatte, würde sie schon mit der Sprache herausrücken, was sie im Keller des Kinderheims und im Pförtnerhaus zu tun gehabt hatte und was mit dem verschwundenen Jungen geschehen war.
Mit einem Aufatmen lehnte Matthias sich zurück. Seine Kopfschmerzen waren wie weggeblasen. Er hatte wieder eine Aufgabe: Miss Piggy finden und bestrafen.
Das Schild hing ein bisschen schief. Die blauen Buchstaben leuchteten auf dem weißen Untergrund. Neben der Bezeichnung Metallteile HandelsGmbH – Fließpressteile prangte eine riesige silberne Schraubenmutter. Lara checkte die Zeit. Die »Schraubenbude«, in der Rainer Grünkern vor seiner Rente gearbeitet hatte, war seit einer Viertelstunde geöffnet.
Sie hatte diese Woche Mittagsschicht, musste also erst später in der Redaktion erscheinen und konnte vormittags ihren eigenen Recherchen nachgehen. In der gestrigen Redaktionssitzung hatte Hampenmann sie keines Blickes gewürdigt. Und Tom war auffallend fröhlich gewesen. Nur Isabell schlich herum, als sei sie krank, und verfolgte Tom mit waidwunden Blicken. Lara hatte kurz daran gedacht, dass sie der Praktikantin versprochen hatte, ihr bei der Vorbereitung des Ausstandes zu helfen, es aber sofort wieder vergessen.
Sie öffnete die Tür. Eine Klingel spielte eine kleine Melodie, die einen Mann im grauen Kittel aus einem der hinteren Räume hervorlockte. Er lächelte skeptisch, als er Lara sah, und quetschte ein »Was kann ich für Sie tun?« heraus. Sie hielt ihm ihren Presseausweis vor die Nase und murmelte etwas von Recherchen. Das weckte seine Aufmerksamkeit. Er bat Lara um den
Verkaufstresen herum in ein benachbartes Zimmer und bot ihr einen Stuhl an.
»Es geht um einen Ihrer ehemaligen Kollegen, Rainer Grünkern.« Lara bemerkte, dass sie den Mann gar nicht gefragt hatte, welche Funktion er in diesem Betrieb innehatte, aber das konnte sie ja später nachholen. An seinem Gesichtsausdruck sah sie, dass der Angestellte, auf dessen rechter Brustseite M. Petermann aufgestickt war, den Genannten kannte.
»Rainer arbeitet nicht mehr hier. Er ist seit drei Jahren in Rente.«
»Das weiß ich, Herr …«, Lara zögerte kurz und entschied sich dann, dass es unwahrscheinlich war, dass in dem Kittel von »M. Petermann« nicht auch M. Petermann steckte, »… Herr Petermann. Kannten Sie Rainer Grünkern?«
»Klar! Hab mindestens zehn Jahre mit ihm
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