Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Sensenmann

Sensenmann

Titel: Sensenmann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clausia Puhlfürst
Vom Netzwerk:
können. Mark dachte an ihren plötzlichen Ausbruch, als sie sich im Jahr 1975 befunden hatten. Wer mochte »Fischgesicht« sein, und was hatte der so Bezeichnete mit dem Mädchen vorgehabt? Er nahm sich vor, sich bei der Auswertung der Aufzeichnung besonders auf diese Stelle zu konzentrieren und bei einer späteren Therapiestunde darauf zurückzukommen.
    »Nichts Bedeutsames, hm …« Sie schob die Decke beiseite und erhob sich. »Hat das Ganze dann überhaupt weiter Sinn?« Jetzt zweifelte sie wieder an allem.
    »Auf jeden Fall, Frau Sandmann. Sie dürfen jetzt nicht aufgeben. Wir haben heute schon einen entscheidenden Schritt nach vorn gemacht. Und dass Sie das Gefühl haben, es funktioniert nicht, ist eher ein Zeichen vom Gegenteil. Ihr Unterbewusstsein fürchtet sich vor dem, was wir nach und nach zutage fördern, und suggeriert Ihnen deshalb, es habe keinen Zweck.«
    »Das ist ja interessant.« Maria Sandmann schien in sich hineinzuhorchen,
ehe sie fortsetzte. »Wenn Sie es sagen. Es klingt plausibel. Dann wollen wir mal damit weitermachen, nicht?« Sie sprang fast von der Couch. »Unsere Zeit ist um, nicht wahr? Wann soll ich wiederkommen?«
    »Ich würde Sie gern diese Woche noch mindestens einmal sehen. Sind Sie noch krankgeschrieben? Vereinbaren Sie bitte einen Termin mit Schwester Annemarie.« Je höher das Ziel, desto häufiger die Sitzungen. Es gab viel zu erforschen und aufzuarbeiten.
    »In Ordnung!« Sie schnappte sich ihre Tasche vom Sessel.
    »Rufen Sie mich an, wenn Sie das Gefühl haben, Sie wollen reden. Jederzeit.«
    »Mach ich. Wiedersehen.« Ein fester Händedruck, dann marschierte sie hinaus. Mark sah der Patientin nachdenklich hinterher. Er wurde das Gefühl nicht los, dass gar nichts »in Ordnung« war, konnte aber den Gedanken nicht präzisieren. Irgendetwas an den Äußerungen der Patientin störte ihn, aber er kam einfach nicht darauf, was es war.

40
    Matthias Hase schloss die Internetseite von Sebastian Wallau. Das Betrachten der Bilder des Kinderheims hatte die Ereignisse wieder hervorgelockt. In seinem Kopf hämmerte der Vorschlaghammer. So wie jeden verfluchten Tag, seit er letzten Donnerstag dort gewesen war.
    Er war mit rasenden Kopfschmerzen wieder zu sich gekommen. Hinter seinen geschlossenen Lidern hatten Lichtblitze gezuckt, die Gedanken waren einer Achterbahn gleich im Kreis gerast, eine Jahrmarktssirene gellte beharrlich. Ohne die Augen zu öffnen, hatte Matthias den Rest seines Körpers überprüft. Er saß
den Rücken an eine weiche, glatte Oberfläche gelehnt, die Beine angewinkelt. Der Hinterkopf stützte sich an eine feste Unterlage. Als er die Augen langsam öffnete, war sein Blick zuerst auf die Trübungen an der Innenfläche der Windschutzscheibe gefallen und hatte sich danach vorsichtig nach außen vorgetastet. Die Sonne stand tief. Ihr roter Schein übergoss alles mit Flammenfarbe. Die alten Alleebäume wiegten ihre Blätter im Abendhauch. Neben ihm die mannshohe Mauer. Dahinter wartete das ehemalige Kinderheim schweigend auf weitere Eindringlinge. Er hatte es von seinem Sitz aus nicht sehen können, auch wenn er sich weit auf den Beifahrersitz hinüberbeugte, aber er wusste, dass es da war. Wie eine dunkle Bedrohung thronte das Haus inmitten des Parks und hatte noch immer Macht über ihn. Die Spuren der Fingernägel in seinen Handflächen spürte Matthias heute noch  – vier Tage nach seinem Besuch.
    Wie ein Zombie hatte er die Heimfahrt angetreten, und erst am nächsten Tag war ihm eingefallen, dass er über den Vorkommnissen in dem leerstehenden Gebäude völlig die Aktensuche vergessen hatte. Da war es schon Freitagmittag gewesen, und es hätte keinen Sinn mehr gehabt, den Weg nach Chemnitz auf sich zu nehmen, weil in den Behörden niemand mehr zu sprechen sein würde. So hatte er die Suche auf diese Woche verschoben.
    Matthias massierte seine Schläfen. Das Triptan wirkte schon lange nicht mehr. Am vergangenen Wochenende hatte er versucht, sich zu betrinken, aber auch der Alkohol hatte keinerlei Wirkung gezeigt. Er hätte stattdessen auch Wasser zu sich nehmen können. Und nun war bereits Montagabend, und er hatte sich noch immer nicht aufraffen können, etwas zu tun. Allmählich lief ihm die Zeit davon. Er hatte das Gefühl, etwas sei ihm auf den Fersen, etwas verfolge ihn, etwas durchschaue seine Pläne, sodass er schnell handeln musste, um seine Ziele zu erreichen, und doch saß er seit Tagen herum wie gelähmt. Migräne hin oder her, das musste ein Ende

Weitere Kostenlose Bücher