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Sensenmann

Sensenmann

Titel: Sensenmann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clausia Puhlfürst
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Psychologe.« Lara schaute kurz auf die Uhr und gab sich noch zehn Minuten. »Er sagt, die Opfer ›vergessen‹ nichts. Sie verdrängen es lediglich in ihr Unterbewusstsein. Der seelische und körperliche Missbrauch ist deswegen aber längst nicht verschwunden, sondern latent immer da. Manche dieser Erinnerungen sind dem Bewusstsein überhaupt nicht zugänglich, weil sie zu belastend für die Psyche sind. Und trotzdem richten sie zeitlebens unmerklich Schaden an, wenn sie nicht verarbeitet werden. Das müssen nicht immer psychische Störungen sein, auch Krankheiten treten auf oder selbstverletzendes Verhalten.«
    »Ihr Freund hat vollkommen recht.« Frau Sandmann hatte sich gestrafft. Zum ersten Mal, seit sie in dem Café angekommen waren, schaute sie Lara in die Augen.
    »Aber sie können die Eltern trotzdem nicht zwingen, ihr Kind behandeln zu lassen.« Frank war aufgestanden. »Ich verschwinde mal ganz kurz…« Er deutete in Richtung Toilette.

    »Und ich muss dann auch in die Redaktion, sonst wird es zu spät.« Lara blickte sich nach der Bedienung um.
    »Hören Sie.« Frau Sandmann zupfte an Laras Ärmel. Sie flüsterte, obwohl niemand in ihrer Nähe saß. »Ist Ihr Freund ein guter Psychologe?«
    »Ich denke schon. Ich glaube, er ist sehr einfühlsam. Natürlich reden wir nicht über Details. Die ärztliche Schweigepflicht, Sie verstehen?«
    »Ja, natürlich.« Eine kurze Pause. Lara sah, wie die Frau mehrmals schluckte und dann tief Luft holte. »Könnte ich mal mit Ihrem Bekannten reden?«
    »Wegen des Schwärzlich-Falls?«
    »Nein, nein. Ich …« Die Kellnerin näherte sich. Gleichzeitig öffnete sich im rückwärtigen Bereich die Tür zum Gang und Frank Schweizer kam heraus. Frau Sandmann zog den Kopf zwischen die Schultern. »Es … geht um etwas anderes.«
    »Wenn Sie wollen, schreibe ich Ihnen gern die Telefonnummer auf. Er arbeitet allerdings nicht hier, sondern in Berlin.«
    »Das macht nichts.«
    Gleichzeitig mit der Bedienung war Frank angekommen und nahm Platz. Lara bezahlte ihren Espresso, blätterte dann in ihrem Filofax und schrieb Marks Namen und die Telefonnummer seiner Praxis auf eine Haftnotiz. »Sagen Sie ihm einen schönen Gruß von Lara, wenn Sie ihn anrufen.« Sie lächelte.
    Schweineschwanz! Laras Lächeln erlosch wie eine ausgebrannte Glühbirne, während sie sich umdrehte. Kein Mensch saß in ihrer Nähe. Niemand hatte das Wort »Schweineschwanz« laut ausgesprochen. Es war nur in ihrem Kopf aufgetaucht.
    »Vielen Dank.« Frau Sandmann klebte den Zettel in ihr Portemonnaie. Sie schien erleichtert. Ihre Schultern sackten nach unten, und ihr Gesicht wurde weicher. »Ich heiße Maria. Aber Sie können mich Mia nennen.«

21
    Ein Erzieher aus meiner Gruppe, er hieß Festmann, war ganz in Ordnung. Man hatte mich ihm als »Beobachtungsobjekt« zugewiesen. Das muss es zu Deiner Zeit auch gegeben haben. Jedes Heimkind hatte einen persönlichen Betreuer. Sie mussten unsere Entwicklung beobachten und Berichte darüber für das Jugendamt verfassen. Wie hieß Dein Betreuer?
    Matthias stützte die Ellenbogen auf den Schreibtisch, schloss die Augen und legte die Stirn in die Handflächen. Einem Herrn Festmann war er nie begegnet. Er musste gekommen sein, nachdem Matthias das Heim verlassen hatte. In seinem Kopf hämmerten die Handwerker lauter.
    Sein neuer Brieffreund Sebastian hatte also einen persönlichen Betreuer im Heim gehabt. Wie er schrieb, schien es die übliche Vorgehensweise gewesen zu sein, jedem Kind einen Aufpasser an die Seite zu stellen. Warum konnte er selbst sich dann nicht an so etwas erinnern? Wenn es einen solchen Beobachter für ihn gegeben hatte, hatte der mit Sicherheit auch Berichte verfasst. Die Frage war nur, ob diese noch aufzufinden waren. In den Wirren der Wendezeit war vieles verloren gegangen. Matthias öffnete die Augen wieder. Die Schrift auf dem Monitor flimmerte.
    Du hast mir von der Sagorski geschrieben. Du hattest Glück, dass Du außer ihrem Hochmut und den verächtlichen Bemerkungen nichts von ihrer dunklen Seite kennengelernt hast. Vielleicht lag es daran, dass Du und ich keine Mädchen waren. Die Sagorski hasste kleine niedliche Mädchen regelrecht.
    Ich hatte damals einen Freund  – Konrad. Seine Schwester war auch mit in unserem Heim. Von Konrads Schwester weiß ich,
was sich abspielte, wenn niemand in der Nähe war. Die Sagorski zitierte das jeweilige Mädchen »zum Gespräch« in ihr Büro und verschloss die Tür. Dann begann sie mit ihren

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