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Sensenmann

Sensenmann

Titel: Sensenmann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clausia Puhlfürst
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sich nach der Blondine um, die schon fast an der Gabelung angekommen war. Der Unbekannte war dunkel gekleidet. Nichts Sportives, eher das, was gewöhnlich Spaziergänger trugen. Er hatte beide Hände in den Taschen. Sein intensiver Blick blieb an Rainers Stöcken hängen, wanderte dann zu dessen trainierten Armen. Dann war er vorbei.
    Rainer Grünkern verbot es sich, zurückzuschauen. Das war ein harmloser Wanderer gewesen, sonst nichts. Und wovor sollte er  – ein älterer Herr von fast siebzig  – sich fürchten? Anscheinend wurde er allmählich paranoid. Vielleicht war es besser, zukünftig auf Sendungen wie Aktenzeichen XY zu verzichten.
    Die Stöcke pendelten weit aus. Rainer Grünkern stieß die Arme dynamisch nach vorn und ließ sie dann zurückschwingen, wobei er sich bei jedem Schwung kraftvoll abstieß.
    Den Blick, der ihn durch die borkigen Stämme verfolgte, bis er nicht mehr zu sehen war, spürte er nicht.
    Lara prüfte ihren Fotoapparat. Der Ladezustand war gut. Zur Sicherheit steckte sie noch zwei Ersatzakkus ein. Heute würde sie wohl oder übel selbst Bilder machen müssen. Auch die Fotografen wollten ihr Wochenende genießen, und es war schwierig, einen von den guten für solch einen Job zu bekommen. Dazu kam, dass die Neueröffnung des Stadtbades in Gohlis keines der bedeutsamsten Events war. Vielleicht brachten sie in der Montagsausgabe auch gar kein Bild zum Text. Das hing ganz davon
ab, was am Wochenende noch so reinkam und wie viel Platz für den Artikel blieb. Aber sie wollte gewappnet sein. Nicht dass der Hampelmann sich hinterher beklagte, weil keine Fotos verfügbar waren. Und für die Online-Ausgabe konnte man sie allemal verwenden.
    Blütenduft drängte zum geöffneten Fenster herein und lockte Lara hinauszuschauen. Die Sonne schickte Lichtfinger durch die Blätter des alten Apfelbaumes im Garten. Sie blickte auf die eingetrockneten Grashalme. Seit Anfang Juli hatte es keinen Tropfen mehr geregnet. Und jetzt war noch nicht einmal Mittag und das Thermometer zeigte schon achtundzwanzig Grad im Schatten.
    Lara schloss das Fenster und zog es in die Kippstellung. Sie würde ein ärmelloses Top zur Jeans anziehen. Das war nicht gerade das, was sie im Büro trug, aber erstens war Wochenende, und zweitens handelte es sich um einen Außentermin bei hochsommerlichen Temperaturen. Außerdem hatte die Berichterstattung über das Stadtbad ursprünglich zu Hubert Bellis Aufgaben gehört, aber er hatte gestern so lange auf sie eingeredet, gebettelt und beteuert, er werde sich revanchieren, bis sie nachgegeben hatte. Genug Gründe für legere Kleidung. Lara ging sich umziehen.
    Die Zeit würde knapp werden. Das Festprogramm umfasste drei Stunden: Reden lokaler Politiker, Auftritte von Musikgruppen, Showeinlagen, Wasserballett. Sie musste danach durch die halbe Stadt zurückfahren, duschen und sich für den Abend umziehen. Aber niemand verlangte, dass sie bis zum Ende der Veranstaltung blieb. Sie machte oft genug Abstriche in ihrem Privatleben. Der heutige Abend war für die Ladies’ Night reserviert. Doreen wollte sie um sieben abholen, damit sie vorher noch in Ruhe etwas essen gehen und den neuesten Klatsch austauschen konnten.

     
    Tack, tack. Tack, tack. Rhythmisches Klappern.
    Lara drehte sich um. Ihr Schlafzimmer war leer wie immer. Sie stand in Unterwäsche vor ihrem Kleiderschrank, Jeans und Top über dem Arm.
    Tack, tack. Und noch einmal: Tack, tack.
    Es klang wie das Klappern von Metall auf Stein. Lara schloss die Augen, horchte in sich hinein. Rötlich gelb drang das Licht der Mittagssonne durch ihre geschlossenen Lider. Dann erschien ein verwackelter Umriss, der sich bewegte. Eine Gestalt, leicht nach vorn gebeugt, die Arme schwangen vor und zurück, vor und zurück: tack, tack .
    Es glich einer Art Trickfilm. Ein Männlein beim Skilanglauf. Kurz bevor es verschwand, schärfte sich das Bild für den Bruchteil einer Sekunde, und Lara sah ein zerklüftetes Altmännergesicht. Großporige Nase, Tränensäcke, tiefe Falten links und rechts des Mundes, angestrengter Gesichtsausdruck. Im Hintergrund flimmerte Sonnenlicht durch Stämme und Laub. Sie spürte kurz das Vorhandensein einer schattenhaften Gefahr, dann öffnete sie die Augen wieder, und der Spuk war vorbei.
    Lara streifte sich das Top über und ging, um ihr Telefon zu holen. Es war an der Zeit, dass sie aufhörte, vor diesen Gesichten davonzulaufen. Den Anruf bei Mark, bei dem sie über die Visionen hatten sprechen wollen, schob sie

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