Sentry - Die Jack Schilt Saga: Die Abenteuer des Jack Schilt (German Edition)
fixierten. Obwohl noch ein ganzes Stück entfernt, jagte mir die schiere Größe und Kraft des Riesens tiefe Demut ein. Wie ein von Karnivoren gestellter Moa verfiel ich in unheilvolle Starre, unfähig, einen Fuß vor den anderen zu setzen. Wie versteinert stand ich da, während mein Gegner schrittweise näherkam. Warum konnte ich mich nicht bewegen? Erst spät begriff ich, dass es seine Augen waren, die mich bannten wie der hypnotisierende Blick einer Schlange.
Endlich wich ich dem Blick aus – der Bann war gebrochen. Dem schieren Selbsterhaltungstrieb folgend rannte ich los, weg vom See, direkt auf das Dickicht des Forstes zu, das sich in greifbarer Nähe wie ein Schutz bietender Mantel auftat. Im dichten Unterholz durfte ich mir nicht zu Unrecht einen kleinen Vorteil ausrechnen.
Mit Höchstgeschwindigkeit hastete ich quer über die kleine Lichtung, die sich zwischen Seeufer und Waldrand erstreckte. Sie mochte fünf oder sechs Körperlängen breit sein, vielleicht weniger. Ich hörte den Opreju kommen, mein Gehör verriet, wie irrsinnig schnell er herankam, seine unerhörte Schrittfrequenz flößte mir Todesangst ein. Ich musste mich nicht umdrehen, um zu visualisieren, mit welchem Tempo mein Feind nahte, schon glaubte ich, seinen heißen Atem im Nacken zu spüren. Unwillkürlich schrie ich auf, legte all meine Furcht in diesen einzigen panischen Ruf, bevor ich mit einem weiten Satz über ausladendes Dorngesträuch schnellte und im morschen Gehölz kleinwüchsiger Bäume landete, die ihr kahles Astwerk wie aufgestellte Spieße entgegenreckten. Haut riss an unzähligen Stellen auf, wie eine unfügsame Klaue griff der Schmerz nach mir, als mein geschundener Körper durch das widerspenstige Dickicht brach. In gebückter Haltung rannte ich weiter, den Weg des geringsten Widerstandes durch diese Wand aus Stämmen, Ästen und Zweigen suchend.
Hinter mir krachte es ordentlich, als der Opreju ungebremst mit der ganzen Macht seines riesigen und schweren Leibes über das Niederholz kam wie eine entfesselte Naturgewalt. Holz splitterte, halbwüchsige Bäume bogen sich, Äste brachen. Haken schlagend wieselte ich wie ein gehetzter Skirret durch die engen Schlupflöcher zwischen den unzähligen Baumstämmen, die mir im Weg standen. Meine Rechnung schien aufzugehen. Während ich einigermaßen flott vorankam, nicht wesentlich an Tempo verlor, stellte der sperrige Wald für den Opreju ein weitaus größeres Hindernis dar. Er warf sich ihm mit seinem geballten Gewicht dagegen, drückte jüngere Stämme einfach zur Seite, als wären sie aus Gummi, blieb jedoch an stärkeren hängen, was seine Geschwindigkeit rasch drosselte. Einen Blick hinter mich werfend stellte ich fest, wie nahe er mir gekommen, wie knapp ich seinen Knochenhänden entronnen war. Es hatte sich um Haarlängen gehandelt. Ich war keine Sekunde zu früh losgespurtet. Jetzt vergrößerte sich der Abstand zusehends.
Der erste Ansatz von Triumph wollte sich einstellen, als ich rutschte, das Gleichgewicht verlor, der Länge nach zu Boden ging und mit dem Gesicht voran gegen einen Stamm prallte. Trotz der Blitze und Sterne, die in allen Farben und Formen vor meinen Augen explodierten, rappelte ich mich wieder hoch und hastete weiter. Die Nase schmerzte höllisch, doch alle Pein ignorierend setzte ich so schnell es unter diesen Umständen möglich war einen unsicheren Fuß vor den nächsten. Mit beiden Händen fuhr ich über mein pochendes Gesicht und nahm nur am Rande wahr, wie sich die Handflächen rot verfärbt hatten. Ich wischte all diese nebensächlichen Tatsachen zur Seite und versuchte mich wieder voll und ganz auf die Flucht zu konzentrieren. Blindlings war ich losgerannt, orientierungslos, ja beinahe gedankenlos. Nun musste ich die volle Aufmerksamkeit darauf legen, dem Ganzen eine Richtung zu geben. Immer weiter in den Wald hineinzurennen mochte mich vielleicht im ersten Moment vor den Opreju retten, führte aber auch vom eigentlichen Ziel fort.
Ich beschloss, einen weiten Bogen in nordwestlicher Richtung zu laufen, der hoffentlich genug Wald zwischen mir und meinen Verfolgern ließ und mich dennoch wieder in die Nähe des Seeufers brachte. Doch umgeben von nahezu undurchsichtigem Dickicht war es beileibe nicht einfach, überhaupt eine Richtung beizubehalten.
Unangenehm überrascht fand ich mich plötzlich auf einer weiten, sonnendurchfluteten Lichtung wieder, die mehr einer Schneise glich, die ehedem ein zerstörerischer Wirbelsturm in den Forst
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