Sentry - Die Jack Schilt Saga: Die Abenteuer des Jack Schilt (German Edition)
undurchschaubarer.
„Du kennst Avalea?“ fragte ich kaum vernehmbar.
„Ja, sie ist auch eines meiner Kinder“, gab Cantrell von sich. „Ich habe viele Töchter und Söhne. Manche sind gut geraten, manche nicht. Avalea ist eine meiner bösen Töchter, oh ja. Aber kann ein Vater auf alle seine Kinder stolz sein? Ich fürchte nein.“
Endlich fiel mir ein, warum ich das Gefühl hatte, schon einmal mit dieser merkwürdigen Person gesprochen zu haben. Vor noch gar nicht allzu langer Zeit sogar. In einer Höhle am Rande Uhlebs. Dort war mir ein Wesen begegnet, das ebenfalls auf jene merkwürdig singende Art gesprochen hatte.
Éi-urt-tuay!
Doch wollte es mir beim besten Willen nicht gelingen, eine Verbindung zwischen den beiden herzustellen.
„Vergib ihr, Jack Schilt! Sie tat es nicht mit böser Absicht. Sie suchte nur einen Vorteil für sich und ihr kleines abtrünniges Völkchen. Sie wird immer menschlicher, weißt du. Mit zunehmendem Alter werden sie uns Menschen immer ähnlicher, ist das nicht außergewöhnlich? Oh ja, sehr außergewöhnlich.“
Kein Zweifel. Ich war nun überzeugt, Cantrell und Éi-urt-tuay kannten einander. Diese Auffälligkeit in der Sprachweise konnte kein Zufall sein. Ich spann den Faden weiter. Mit etwas Dichtkunst und einer Portion Phantasie reimte ich mir die Antworten auf meine Fragen selbst zusammen. Noch wusste ich nicht, wer Cantrell war und was für eine Rolle er spielte. Doch war das wichtig? Mir genügte zu wissen, einen Menschen vor mir zu haben. Einem Menschen traute ich alles zu. Und einem Menschen, der Skiavos als seine Kinder bezeichnete, erst recht.
Cantrell sah mich durchdringend an. Seine starren Augen schienen direkt in meine Gedanken zu blicken, als er sagte: „Ja, sprich es ruhig aus. Dein Verdacht ist vollkommen richtig.“
Ich erschrak. Hatte mich mein Gesichtsausdruck verraten? Oder konnte diese furchtbare Kreatur in der Tat Gedanken lesen?
„Natürlich ist mir Éi-urt-tuay kein Unbekannter. Glaubst du, ihr wärt euch begegnet, wenn ich es nicht gewollt hätte?“ Und von diesem Moment an änderte sich seine Stimme von Grund auf. Hatte sie vorher noch diesen weichen, singenden Unterton aufgewiesen, wie der eines unsicheren Jünglings, klang sie nun hart, autoritär und streng, gleich der eines strafenden Vaters. Cantrell spielte mit mir Katz und Maus. Die Rollen waren bestens verteilt, und ich war die Maus.
„Ich war einmal ein berühmter Mann, Jack Schilt. Nicht nur hier. Auf Vestan bin ich
der
führende Wissenschaftler schlechthin gewesen.“
Vestan!
„Meine Erfolge mit der Reproduktion identischer Organismen waren eine Sensation. Oh ja, ich war eine Berühmtheit. Regierungen suchten meine Nähe. Mein Wissen war revolutionär. Vielleicht kannst du dir vorstellen, was es bedeutet, Menschen außerhalb des Mutterleibs zu reproduzieren? Sehe ich da Hohn in deinen Augen, Jack Schilt? Ja, ich gebe zu, diese Technik war schon Jahrhunderte vorher auf Vestan bekannt. Allein ich jedoch war in der Lage, aus einer einzigen embryonalen Stammzelle komplikationslos Hunderte, was sage ich, Tausende neuer, lebensfähiger Organismen zu schaffen. Nun magst du vielleicht sagen, dass auch diese Methode auf Vestan angewandt wurde, Jack Schilt, und damit hättest du Recht! Doch niemand war vorher jemals in der Lage gewesen, einen erwachsenen Menschen innerhalb eines Zeitrahmens von sechsunddreißig Tagen komplett zu reproduzieren.“
Hier legte Cantrell eine Pause ein, als erwartete er so etwas wie eine Beifallsbekundung meinerseits. Als sie ausblieb, fuhr er fort: „Mutter Natur benötigt dafür zwanzig Jahre. Ich habe der Evolution gelinde gesagt auf die Sprünge geholfen.“
Cantrell betrachtete mich prüfend, las zielsicher Verständnislosigkeit in meinen Augen und entschloss sich, für mich Unwissenden etwas weiter auszuholen.
„Vor geschätzten vier Milliarden Jahren begann auf dem Planeten Erde das Leben. Zunächst waren es nur primitivste Einzeller, wahrlich nichts Besonderes, und in den folgenden zwei Milliarden Jahren sollte sich auch wenig daran verändern. Doch das Fundament war gelegt, darauf kam es letztlich an. Dann erlernten jene Einzeller die Zellteilung, ein Quantensprung in der Geschichte des Lebens. Von nun an ging es deutlich schneller voran, das Leben explodierte förmlich in ungeahnter Vielfalt. Nur wenige hundert Millionen Jahre später existierten Pflanzen und Tiere, komplexe Kreaturen in allen Größen und Formen. Du siehst, die Evolution
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