Sentry - Die Jack Schilt Saga: Die Abenteuer des Jack Schilt (German Edition)
neuerlichem Aufschub.
Wie durch einen dichten Schleier vernahm sie Kristers hilfloses Rufen, der sie in den Armen hielt und sanft an die Brust drückte. Stoßweise atmete sie den Geruch seines erhitzten Körpers, nahm den bittersüßen Duft seiner Haut tausendfach verstärkt in sich auf, als bestünde die ganze Umgebung allein daraus. Einen Augenblick lang existierte sie nur in dieser fragilen Welt ekstatischer Empfindungen.
Dann erreichte sie der Schmerz.
Gleich einer kochendheißen Woge raste er durch sie hindurch, riss jede andere Empfindung erbarmungslos fort und raubte ihr beinahe das Bewusstsein.
Gerade als sie glaubte, es nicht länger ertragen zu können, ebbten die Schmerzen ab und gewährten den schwindenden Sinnen eine letzte Frist. Um ein Vielfaches geschärft nahm sie ihre unmittelbare Umgebung wahr. Wie Starkregen prasselte eine Vielzahl von Eindrücken auf sie hernieder, die heisere Stimme Kristers in ihren Ohren, der unverständliche Worte stammelte, den salzigen Geschmack seiner Haut auf ihren Lippen. Der finale Gedanke an das ungeborene Leben, das sie in sich trug, trieb ihr bittere Tränen in die Augen. Es war bereits vergangen, noch vor ihr verloschen, zerrissen von der unbarmherzigen Kraft des tief in ihrem Fleisch steckenden Eisens. Dieses Wissen schmerzte mehr als die tödliche Wunde in der Körpermitte, es wühlte im empfindsamsten Inneren ihrer erlöschenden Existenz.
„Avalea!“ Kristers tränenerstickter Ruf veranlasste sie, die geschlossenen Lider wieder zu öffnen. Dicht vor sich gewahrte sie sein zu einer untröstlichen Maske verzerrtes Gesicht. Sie wusste, sie hatte nicht mehr viel Zeit.
„Krister...“ In diesem Namen lagen all die unerfüllten Wünsche und Sehnsüchte einer Sterbenden, die hinnehmen musste, dass ihr trotz unnatürlich lange gewährten Lebens letzten Endes der wahre Sinn verschlossen bleiben sollte. Einen Augenblick später aber tat es bereits nicht mehr weh. Manchmal genügen Ahnungen, um zu erfüllen.
„Warum hast du das getan?“ hörte sie ihn flüstern, doch kein Vorwurf lag in seiner merkwürdig nachhallenden Stimme.
Sie sah ihn an und spürte den Tod nach ihr greifen. Doch noch wollte sie ihm nicht nachgeben. Noch nicht ganz.
„Krister... hör mir zu! Du musst fort, schnell.“ Ihr Atem kam nun stoßweise. „Der Ghaia ist tot. Die Feuerinsel ist dem Untergang geweiht. In Kürze wird hier alles zerstört sein, verstehst du? Der Vulkan... er wird ausbrechen... es tut mir so leid...“
Ihre Stimme wurde mit jedem schweren Atemzug leiser. Krister brachte sein rechtes Ohr an ihre Lippen.
„Geh zurück, geh zurück bis zum Thronsaal. Von dort aus führt rechterhand ein Gang nach draußen. Geh zu der Stelle, an der ihr gefangengenommen wurdet. Dort findest du am Ufer bei den Felsen eine Höhle. Sie birgt den Zugang zu einem unterirdischen Tunnel, der unter dem See hindurch führt. Lauf dorthin! Rette dich auf die andere Seite, so weit weg von hier wie nur möglich!“
Sie hustete schwer. Blutiger Schaum quoll aus den Mundwinkeln.
„Krister, noch etwas. Die Prophezeiung der Ermeskul erfüllt sich, es ist zu spät, daran noch etwas ändern zu wollen. Sie werden wieder zu alter Kraft finden und Gondwana von den Uzu befreien. Krister, ich fürchte um dich.“ Sie versuchte ein aufmunterndes Lächeln, es misslang. „Nun geh! Verlass dieses verfluchte Land!“
Der Widerstand in seinen Augen mobilisierte ihre letzten Kraftreserven.
„Lass dir nicht einfallen, mich beerdigen zu wollen! Lass mich hier zurück, lass mich hier liegen! Versprich es! Versprich mir, mich hier liegen zu lassen!“
Krister sah sie ungläubig an. Der bloße Gedanke, sie wie ein totes Tier zurückzulassen, widerstrebte ihm. Doch flehende Augen geboten ihm die Erfüllung dieses letzten Wunsches. Er nickte.
Avalea schloss erleichtert die Augen und hustete erneut. Das Ende war nahe. Die Furcht davor spiegelte sich in ihrem wächsern wirkenden Antlitz wider. Mit aller Kraft, die noch in ihrem sterbenden Körper verblieben war, klammerte sie sich an den Vater ihres toten Kindes. Obwohl sie ihn bat, zu gehen, sein Heil in der Flucht zu suchen, verriet ihr flehender Blick das Gegenteil: Halt mich! Bleib bei mir! Lass mich diesen Weg nicht alleine gehen!
Krister drückte sie sanft an sich. Tränen des Schmerzes und der Machtlosigkeit standen in seinen Augen. Hilflos küsste er ihre heiße Stirn. Sie hob in letzter Anstrengung den bleischweren Kopf und sah seinen bebenden Mund
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