Sephira - Ritter der Zeit 2: Das Blut der Ketzer (German Edition)
war.
Giselle starrte eine Weile vor sich hin, dann antwortete sie: »Seit ich zwölf bin. Kurz nach dem ersten Bluten.«
Eine ferne Erinnerung brachte sie zum Seufzen. »Du musst wissen, dass ich immer nur meine Großmutter hatte. Papa war beschäftigt und Yvette noch sehr klein. Grand-mère kümmerte sich um uns beide und erzählte uns Geschichten. Yvette geht immer noch jeden Abend zu ihr.«
Das hätte ich von der streng dreinblickenden Frau nicht erwartet. Auch nach vielen Wochen sah ich sie nur gelegentlich. Wenn, dann trafen sich unsere Blicke kurz, bevor sie sich wieder umwandte und im Haus verschwand.
»Ich hatte damals eine Katze. Sie war sehr alt. Wenn sie schlief, fiel sie einfach vornüber und lag dann die ganze Zeit über mit der Stirn auf der Fensterbank.« Die Erinnerung brachte sie zum Lächeln. »Auf jeden Fall fand ich sie eines Tages in einer Ecke des Hofes. Sie keuchte ganz fürchterlich. Ich dachte schon, dass es mit ihr zu Ende geht. Ich legte ihr beruhigend meine Hände auf den Körper und spürte, wie Wärme aus meinen Handflächen in das Tier strömte. Dessen Atem wurde ruhiger, und ich glaubte zunächst, dass es jetzt sterben würde. Doch die Katze rappelte sich auf und lief davon. Als ich meiner Großmutter davon erzählte, wurde sie sehr ernst. Du hast die Gabe eines Engels , sagte sie zu mir. Mehr noch als bei allen anderen hier ist deine Seele dazu bestimmt, an der Seite von Gott zu sitzen. Doch gleichzeitig ermahnte sie mich, es niemanden wissen zu lassen. Die Menschenverstehen das Göttliche nicht immer. Sie fürchten es sogar, und du weißt, was Furcht alles anrichten kann. Nutze deine Gabe, sprich aber nicht darüber. Und heile nur jene, die an der Schwelle des Todes stehen und dich nicht verraten können. « Sie sah mich mit großen Augen an.
»Und nun habe ich es gesehen.«
Giselle senkte den Blick.
»Keine Sorge, ich halte dich nicht für eine Zauberin. Und ich habe auch dafür gesorgt, dass das Mädchen nichts sieht. Du bist nicht in Gefahr, glaub mir.«
»Das ist es nicht«, entgegnete sie leise. »Es ist nur … Ich weiß selbst nicht, ob diese Gabe wirklich die eines Engels ist. Was ist, wenn ich einen Dämon in mir habe?«
»Weiß dein Vater von der Gabe?«
Giselle schüttelte den Kopf. »Nein, Grand-mère meinte, gerade er solle besser nicht davon wissen.«
Würde Azième seine eigene Tochter auf den Scheiterhaufen schicken?
Er war in den vergangenen Tagen nicht freundlicher geworden und seine Burschen beobachteten uns weiterhin. Wir taten so, als würden wir es nicht bemerken und behielten sie unsererseits im Auge.
Lediglich Sayd schien ein wenig besser mit ihm auszukommen, was daran lag, dass der Parfait ihn empfing.
»Dann bleibt es unser Geheimnis«, entgegnete ich und legte meinen Arm um ihre Schultern. »Ich bin davon überzeugt, dass deine Gabe göttlich ist. Du wirst vielen Menschen Gutes tun.«
Mein Zuspruch schien Giselle ein wenig zu erleichtern.
»Ich habe gesehen, dass du dich mit Jared unterhalten hast. Hast du ihn gefragt?«
Auch im Mondlicht war erkennbar, dass sie errötete.
»Ja, das habe ich.«
»Und was hat er dazu gesagt?«
»Dass er es mir beibringen möchte. Natürlich muss ich meinen Vater und Grand-mère fragen.«
»Willst du das wirklich?« Ich zog die Augenbrauen hoch. »Dein Vater traut uns noch immer nicht über den Weg.«
»Aber Grand-mère. Sie mag euch.«
»Wirklich?«
»Sie wundert sich ein bisschen darüber, wie frei du dich bewegst, aber das schiebt sie auf die Gebräuche der Heiden im Morgenland.«
»In meiner alten Heimat haben sich viele Frauen frei bewegt.«
»Deine alte Heimat?«
»Die Nordlande. Ich stamme aus einer Familie von Seefahrern. Wenn die Männer auf See waren, mussten sich die Frauen um alle Belange des Dorfes kümmern. Sie haben es sogar gegen Feinde verteidigt. Aus diesem Grund habe ich auch gelernt, mit dem Schwert zu kämpfen.«
»Und wie bist du ins Morgenland gekommen?«
»Mit einem Schiff. Nordleute sind sehr reiselustig, musst du wissen. Unser Schiff geriet in einen Sturm und ich wurde angespült.«
»Und deine Familie? Willst du nicht zurück?«
»Meine Mutter und mein Vater sind tot. Es gibt niemanden, der in den Nordlanden auf mich wartet.«
»Das tut mir leid.«
Ich lächelte Giselle an. »Es ist schon recht lange her.«
»Vermisst du sie denn nicht?«
»Doch, jeden Tag. Aber Gabriel und die anderen sind sehr freundlich zu mir. Nie würden sie zulassen, dass mir etwas
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